Dienstag, 16. Juli 2019

Für den "Vogelschiss" von Gauland gibt es meiner Meinung nach wirklich noch eine gutwillige Lesart, von der ich annehme, dass sie dem Denken von Gauland gerecht wird. Beim "Denkmal der Schande" von Björn Höcke finde ich keine gutwillige Lesart mehr.

Ich ziehe mich nicht auf die Formalität zurück, dass man es rein logisch immernoch passend machen könnte: "Der Holocaust ist eine schandhafte Tat. Also stimmt der Begriff 'Denkmal der Schande'." – Zum einen ist "Schande" ein viel zu kleines Wort für den Holocaust. Zum anderen sagt mir mein Sprachinstinkt in der Zusammenschau mit seinen sonstigen Äußerungen, dass er auf diese formale Bedeutungsebene nicht abzielte. Er nutze sie vielleicht, um sich dahinter zu verstecken. Er meinte wohl wirklich: Das Denkmal an sich ist eine Schande. Und das ist einfach doppelt und dreifach bescheuert. Auch, wenn es selbstverständlich von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Für mich ist das selbstkritische Element im Umgang mit der Nazi-Vergangenheit eher ein Anlass zum Stolz. Wir können katastrophale Fehltritte eingestehen. Wir können wenigstens im Nachhinein gut und böse unterscheiden und wir können den Tag der Niederlage Nazideutschlands wenigstens prinzipiell als "Tag der Befreiung" betrachten. (Auch, wenn dies eine sehr verkürzte Sicht ist, denn es war nicht alles gut ab diesem Tag, gerade auch in menschenrechtlicher Hinsicht.)

Dass Höcke hier darin versagt, dass Positive in unserer heutigen "Erinnerungskultur" zu sehen, ist traurig. Und ich verstehe auch, wenn hier der Nazi-Gesinnungsverdacht aufkommt. Allerdings bleibe ich erstmal noch bei dem Verdacht stehen. Ich müsste jetzt erst noch weitere Aussagen von ihm analysieren, um zu einem ordentlichen Urteil zu gelangen, jedoch habe ich darauf keine Lust.

Gleichzeitig aber hat Höcke auch ein bißchen Recht, wenn er eine "erinnerungspolitische Wende" fordert. Vielleicht hat er nur zu 1% Recht oder oder er hat bis zu 10 oder 20% Recht. Wie viel auch immer. In jedem Fall scheint es mir so zu sein, dass wir es ein bißchen übertreiben mit unserem Fokus auf das Negative in unserer Vergangenheit. Wir kreisen ein bißchen zu viel um unsere Sünden. Ein positives Selbst-Bewusstsein kommt bei uns zu kurz, was sich schon darin zeigt, dass wir noch nichtmal mit dem Bewusstsein leben, dass so etwas überhaupt erlaubt ist. – Aber was Höcke hier veranstalten würde, wäre sicherlich auch nicht mehr gesund. Er würde sehr wahrscheinlich zur anderen Seite hin übertreiben und eine Art nationaler Selbst-Glorifizierung betreiben, dass auch ich meine Beine in die Hand nehmen und schnell das Weite suchen würde.

Insofern halte ich Höcke definitiv nicht für eine positive, gesunde Kraft. Wenn er sich jetzt in der AfD durchsetzen sollte, hätte ich ein ernsthaftes Problem. Dann wäre ein Kreuz bei der AfD fast nur Protest, und kaum noch Ausdruck von auch teilweiser Zustimmung. Es gäbe dann wieder diese eklatante Repräsentationslücke für "anständige Rechte" im politischen System. Es gäbe keine (genügend anständige) Partei, mit der ich ausdrücken könnte: So etwas wie 2015 war kompletter Irrsinn und soll sich bitte niemals wiederholen. (Insbesondere war es Irrsinn aus effektiv altruistischer Sicht.)

Natürlich habe ich auch jetzt schon ein Problem mit der AfD, denn sie hat nunmal solche Gestalten wie ein Björn Höcke in sich und noch ein paar schlimmere. Aber solange mir dieses Politik-System keine makellose Partei anbietet, mit der ich mein legitimes Interesse zum Ausdruck bringen kann, muss ich eben mit dem Vorlieb nehmen, was mir angeboten wird. Das ist einfach ein Systemfehler, von dem ich mir meinen demokratischen Willensbeitrag nicht vermiesen lassen will. Ich hab grad keine Zeit, um eine anständige(re) rechte Partei zu gründen.




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