Dienstag, 8. August 2017
Ich bin letztlich kein Immoralist. Auch wenn ich es auf philosophischer Ebene immer wieder versuche und die Grundannahmen der "Moral" lustvoll in Frage stelle – auf pragmatischer Ebene bin ich Moralist. Es gibt für mich gut und böse, richtig und falsch, besser und schlechter. Und ich formuliere Ansprüche daraus, sowohl an mich selbst als auch an andere.

Aber woran liegt es nur, dass das Wort "Moral" trotzdem einen so faden Beigeschmack hat? Ein Selbstbekenntnis zum "Moralisten" fühlt sich fast wie ein Bekenntnis zum Onanisten an. Nur mit dem Unterschied, dass ich letzteren für harmloser halte (auch für anständiger...) und er mir weit sympathischer ist.

Der Konflikt liegt vielleicht "nur" im Reich der Sprache. Wenn ich z.B. von mir sage, dass ich ein "Mann mit Prinzipien" bin – was im Grunde das gleiche meint –, dann klingt das schon wieder ganz anders. Oder wenn ich sage, dass "gut und böse" für mich existieren, dann muss man deswegen auch nicht gleich das Wort "Moral" auspacken. Ebenso "Haltung beweisen", oder "seiner Verantwortlichkeit gerecht werden" – sogar das Wörtchen "Anstand" und eine entsprechende Forderung danach ist mir nicht so unangenehm wie das Wort "Moral".

Der Grund für mein Unbehagen ist wohl dieser: Der Geltungsanspruch der Moral ist in der Regel ein absoluter. Die "Prinzipien" sind hier ausgehärtet, erkaltet, fertig, unpersönlich, "objektiv" – und eben verbindlich. Und Moral kennt keine Toleranzen, zumindest tut sie sich sehr schwer damit. In der Moral schwingt auch der Grundkonflikt zwischen Individuum und Kollektiv mit: Wieviel Normung und Einmischung in das Privatleben des Einzelnen darf sich das Kollektiv erlauben? (Z.B.: Welche Drogen erlaubt die Gesellschaft?) – Eine zentrale Frage für die Politik und jede Gesellschaftsgestaltung. Und eine Frage, die wiederrum eine moralische ist... Moral steht hier potentiell in ihrer eigenen Schusslinie. Das Setzen von (zuviel) Moral kann auch amoralisch sein.

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Ich halte es für moralischer, Rindfleisch zu essen anstatt z.B. Hühnerfleisch. Ganz einfach deswegen, weil beim Rind pro gequälter Tierseele mehr Kg an Fleisch abfällt. So müssen weit weniger Seelen gequält werden, um eine Gemeinschaft von Menschen zu ernähren. (Gehen wir perverserweise mal davon aus, dass nicht-artgerechte und qualvolle Massentierhaltung zum jetzigen Zeitpunkt die noch unvermeidliche Norm ist.)



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Ich kann Ihren Gedankengang nachvollziehen.
Allerdings finde ich das mit der pragmatischen Moral oder Haltung oder den Prinzipien sehr unbefriedigend. Das ist ja alles schön und gut, und das machen sicher viele Intellektuelle so, aber irgendwie ein unbefriedigender Kompromiss aus meiner Sicht. Nicht, dass ich etwas besseres im Angebot hätte.

Ich bin moralischer Subjektivist.
Im praktischen Leben halte ich mich aber an viele Normen aus unterschiedlichen Gründen, manchmal aus Opportunismus, manchmal einfach aus Gewohnheit und Anpassung, manchmal aus struktureller Sentimentalität, manchmal in der halbherzigen Hoffnung, ich würde vielleicht doch im Nachhinein ein Muster in meinen sich moralisch "anfühlenden" Handlungen erkennen, aus dem sich eine widerspruchsfreie Theorie ableiten lässt. Aber davon entferne ich mich wohl immer weiter; stattdessen sehe ich immer mehr Widersprüche und Chaos. In der Philosophie habe ich bis jetzt noch keinen guten Grund für eine andere theoretische Position als die des moralischen Subjektivismus gefunden, ich suche auch nach anfänglichen Enttäuschung zugegebenermaßen nicht mehr sehr intensiv.

Damit, dass das Wort "Moral" viele unsympathische Assoziationen erzeugt, würde ich mich nicht zu lange aufhalten. Heute spricht man ja auch meistens von Ethik. Ethikräte, Ethikkommissionen usw. Mittlerweile hat das auch schon einen ranzigen Geschmack bekommen, aber dann nimmt man halt einen anderen Begriff (nicht unbedingt "political correctness" ;)) oder umschreibt die Problematik, die ja nun einmal da ist. Warum gibt es weit verbreitete Vorstellungen von "gut" und "böse"? Haben diese eine Grund in irgendeiner felsenfesten, bombensicheren GSache, oder sind die eher frei schwebend? Gibt es da irgendein Axiom, vergleichbar mit dem Satz vom Widerspruch oder dem Satz des ausgeschlossenen Dritten in der Logik, auf das sich alle einigen und daraus moralische Sätze ableiten könnten, oder ist das alles nur Lug und Trug, Täuschung und Selbsttäuschung, Wunschdenken und Manipulation?

Kant's kategorischen Imperativ, ein Kanditat für ein grundlegendes moralisches Axion, habe ich nie nachvollziehen können. Vielleicht habe ich ihn nicht begriffen, vielleicht ist er aber auch nur einfach Quatsch.

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Moral & Objektivität / Subjektivität:

Ich kenne 2 Ansätze, die die Moral zumindest "theoretisch" auf eine objektive Grundlage stellen:

1. Es geht um die "Qualität" der inneren Absichten. Ich behaupte, dass aller moralischer Wert allein von der inneren Grundhaltung des Handelnden abhängt. Handelt er "in guter Absicht" oder "mit gutem Willen", dann ist sein Handeln "gut", egal ob es auch zu Ergebnissen führt, die "gut" sind (also z.B. zum anscheinenden Wohle der Gemeinschaft oder eines Individuums). Entsprechendes gilt für die böse Absicht und den bösen Willen – ein entsprechendes Handeln ist auch dann böse, wenn es im Einzelfall trotz aller Bosheit zu "guten Ergebnissen" führt.

Ich nehme also die "subjektive" Innenwelt des Menschen und behaupte, dass alle mögliche "Objektivität" bezüglich Moral eben genau hier liegt.

Dieser Ansatz bietet mir immerhin einen relativ sicheren Griff – das "Gute" und das "Böse" sind hier als elementare Phänomene meiner Innenwelt sehr gut erkennbar und fühlbar. Ob meine Absichten gut oder böse sind, oder irgendwo auf dem Nullniveau dazwischen, weiß ich innerlich immer sehr genau. Zumindest weiß ich es, wann mich der Teufel reitet, und wann nicht.

2. Ich bringe den "lieben Gott" ins Spiel. Gott ist der große Lückenfüller bezüglich all dieser schwierigen und schwer greifbaren Fragen. Am Ende hängt es einfach an seinem Willen und seinen Werturteilen. Das belässt die objektive Wahrheit zwar immernoch in einem gewissen Dunkel, denn der liebe Gott hat ja leider die Eigenschaft, sich nicht wirklich aktiv, klar und eindeutig mitzuteilen, aber immerhin kann man annehmen, dass es sie grundsätzlich gibt.

Kant und sein Imperativ

Nietzsche, Friedrich, Der Antichrist, 11. Kapitel:

Ein Wort noch gegen Kant als Moralist. Eine Tugend muß unsre Erfindung sein, unsre persönlichste Notwehr und Notdurft: in jedem andern Sinne ist sie bloß eine Gefahr. Was nicht unser Leben bedingt, schadet ihm: eine Tugend bloß aus einem Respekts-Gefühle vor dem Begriff »Tugend«, wie Kant es wollte, ist schädlich. Die »Tugend«, die »Pflicht«, das »Gute an sich«, das Gute mit dem Charakter der Unpersönlichkeit und Allgemeingültigkeit – Hirngespinste, in denen sich der Niedergang, die letzte Entkräftigung des Lebens, das Königsberger Chinesentum ausdrückt. Das Umgekehrte wird von den tiefsten Erhaltungs- und Wachstumsgesetzen geboten: daß jeder sich seine Tugend, seinen kategorischen Imperativ erfinde. Ein Volk geht zugrunde, wenn es seine Pflicht mit dem Pflichtbegriff überhaupt verwechselt. Nichts ruiniert tiefer, innerlicher als jede »unpersönliche« Pflicht, jede Opferung vor dem Moloch der Abstraktion. – Daß man den kategorischen Imperativ Kants nicht als lebensgefährlich empfunden hat!... Der Theologen-Instinkt allein nahm ihn in Schutz! – Eine Handlung, zu der der Instinkt des Lebens zwingt, hat in der Lust ihren Beweis, eine rechte Handlung zu sein: und jener Nihilist mit christlich-dogmatischen Eingeweiden verstand die Lust als Einwand... Was zerstört schneller, als ohne innere Notwendigkeit, ohne eine tief persönliche Wahl, ohne Lust arbeiten, denken, fühlen? als Automat der »Pflicht«? Es ist geradezu das Rezept zur décadence, selbst zum Idiotismus... Kant wurde Idiot. ...

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