Freitag, 8. Dezember 2017

Zu den gröbsten Anzeichen unseres irgendwie schief gelagerten Zeitgeists gehört, dass es noch nichtmal eine prägnante, gesellschaftlich etablierte Ausdrucksmöglichkeit für die Einstellung gibt, "Fremde" einfach nur nicht zu "mögen" und sie nicht in der eigenen Nähe haben zu wollen, während man ihnen durchaus alles Gute der Welt wünscht. – Wer so etwas tut, ist per Definition nämlich "fremdenfeindlich". Es wird also ein "Feind" aus einem gemacht, bzw. jemand, der in den anderen Feinden sieht. Es wird "Feindlichkeit" unterstellt. Dies ist nicht nur eine sprachtypische Ungenauigkeit: An der Tatsache, dass diese eine Schublade "fremdenfeindlich" sowohl für mildere Formen verwendet wird als auch für die extremen Formen, bei denen Asylheime brennen, Menschen angegriffen und Hakenkreuze verbreitet werden, zeigt sich, dass überhaupt gar kein politisches und weltanschauliches Interesse daran besteht, hier auch nur ansatzweise zu differenzieren. Es wird suggeriert, dass es sich im Grunde um ein und dasselbe Phänomen handelt: Fremde nicht zu mögen und ihre Häuser anzuzünden. Hieraus spricht nicht nur der Unwille zur Differenzierung, sondern auch eine gewisse Stumpfheit in der Wahrnehmung von Emotionen. Man kennt keinerlei Grade und Unterschiede, keine unterschiedliche Qualitäten und keine Grautöne. Vor allem kennt man nicht den Unterschied zwischen "Nicht-Mögen" und "Hassen". Die offensichtliche Möglichkeit der Differenzierung wird durch eine sehr grobe Schubladenpraxis aktiv unterdrückt. Alles ist Fremdenfeindlichkeit und "Fremdenfeindlichkeit ist Menschenfeindlichkeit". Punkt.

So bleibt in der Sprache und im Denken praktisch nichts mehr übrig, um sich auch nur ausdrücken zu können. Abgesehen von langen, erklärenden Satzkonstruktionen gibt es kein griffiges Adjektiv, das eine "milde Form von Fremdenfeindlichkeit" ausdrückt – hier dient dieser Ausdruck auch nur als ungefähre Annäherung an das Gemeinte (s.o.).


Ein Mangel an Ausdrucksmöglichkeit, ein fehlender Ankerpunkt in der kollektiven Sprachmatrix, halte ich für grundsätzlich verdächtig. Insbesondere wenn er aktiv oder grob fahrlässig verhindert wird oder bewusst nicht gesucht wird. Für mich, der in "geistigen Dingen" sehr empfindlich ist, ist die Blockierung und Verhinderung von Ausdruck eine Ur-Kategorie von Verbrechen. Ein Mangel an Ausdrucksmöglichkeit ist immer ein Notstand, den eine geistige Gemeinschaft zu überwinden suchen sollte, egal welche politische Agenda davon profitieren würde. Ausdruck ist eines der kostbarsten Dinge für den Geist.

Der hier bestehende Mangel hat natürlich auch etwas mit der Geisteswelt der Allgemeinheit zu tun. Bzw. mit der Geisteswelt der Zeitungs- und Nachrichtenschreiber. Wenn an eine "milde und tolerierbare Form von Fremdenfeindlichkeit" noch nicht einmal geglaubt wird (geglaubt werden will, geglaubt werden kann), kann man sich sprachlich noch so um begriffliche Neuschöpfungen bemühen. Eine Kommunikation oder gar Spracherweiterung wird dann nicht stattfinden.

Die Kommunikation, die möglich sein sollte und hier gemeint ist, verlangt eigentlich nur ein Minimum an Gutgläubigkeit gegenüber dem Sender der Botschaft. Doch mir scheint, diese Gutgläubigkeit, dieses Glauben an das Gute, will partout nicht aufgebracht werden. Eine "gute (nicht-böse) Fremdenfeindlichkeit" will man nicht zulassen. Eine gute Gesinnung am Boden eines Menschen, der gegen (zuviel) Zuwanderung und (zuviel) Multikulti ist, will man nicht anerkennen und nicht beglaubigen.

Ein Grund für die Unwilligkeit, eine "nicht-böse Fremdenfeindlichkeit" sozial zu akzeptieren und ihr eine faire sprachliche Bezeichnung zu gönnen, besteht sicherlich auch in der Angst vor den Folgen. Man befürchtet, dass man die "böse Fremdenfeindlichkeit" dadurch stärken könnte. Man hat Angst vor einer Art "Dammbruch". Die Begleiterscheinungen von Pegida, tätliche Angriffe auf "Fremde", scheinen dies zu bestätigen.

Ich habe aber den Verdacht, dass auch das Gegenteil wahr sein könnte. Indem man die "nicht-böse Fremdenfeindlichkeit" ständig unterdrückt, nicht anerkennt und unfair und unsachlich einordnet, nährt man die Unzufriedenheit und den Hass in den Menschen. Unterdrückung ist per se nichts, was die Menschen glücklicher, ausgeglichener und zufriedener macht. Und die Form der Unterdrückung ist ja auch verflucht elementar. Sie ist verflucht gründlich. Sie setzt bereits im Geist und seinen Ausdrucksmöglichkeiten an. Sie wird im tendenziösen Gebrauch der öffentlichen Sprache und ihren undifferenzierten Kategorien und Werturteilen mitgetragen. Sie besteht in der offen direkten und subtil hintergründigen Verneinung des eigenen moralischen Seins. Sie besteht in dem tiefen und wirksamen Ausdruck moralischer Geringschätzung. Sie besteht in der Unverschämtheit, Signale zu senden wie "Du bist unmoralisch" oder "Du bist dumm".

Dass sich hier "Hass" aufstaut, erscheint mir nur logisch. Ein tiefer Instinkt fühlt sich unterdrückt, beleidigt, nicht akzeptiert und ungerecht behandelt. Und so könnte es durchaus auch sein, dass die negativen Begleiterscheinungen von Pegida nicht in erster Linie der "natürliche Ausdruck" von nicht weiter zu differenzierender "Fremdenfeindlichkeit" sind, sondern von aufgestautem Frust über die ständige Unterdrückung. Der "Fremde" wird dann vorrangig als Symbol dieser geistigen Unterdrückung und Fremdbestimmung im eigenen Lebensraum wahrgenommen – und das ist provozierender als alle "Fremdheit".




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