Donnerstag, 15. Februar 2018

"Menschenwürde" / "Die Würde des Menschen": pseudophilosophische Nebelkerze, poetisch romantischer Hollywood-Kitsch, möchtegern-tiefsinnig, letztlich gegenstandslos, irreal, ein Konstrukt ohne Entsprechung in der Realität, ein Propagandabegriff, Populismus – anscheinend erfunden, um sich eine scheinbar gute Grundlage für den "logischen Schluss" auf die Menschenrechte zu schaffen. Ich vermute, das menschliche Bedürfnis nach Selbst-Bestätigung und Objektivierbarkeit durch Logik hat die Verfasser des GG zu diesem Kunstgriff getrieben. Gleichzeitig brauchte man etwas "Feierliches", Nebulöses, auf das man all seine Irrationalität, Unsicherheit und existentielle Unwissenheit abladen konnte. – Hier am Anfang unseres GG also ein bißchen "Religion", ein bißchen "Glauben", ein bißchen Schwärmerei, Verklärung und Irrationalität. Es ist das religiöse Dogma eines ganzen Staates. Das Folgende ist dann wieder Rationalität, Logik, Logos, Rechtsetzung.

Es ist fast amüsant, wie alle Welt auf diesen Zug aufspringt. Es ist immernoch so typisch menschlich, nicht besonders viel selbst zu denken, Kunstbegriffe anzubeten und sich den Gedankenmoden seiner Zeit anzuschließen.

Ich sage, dem Menschen ist weder eine "Mindestwürde" von Natur aus mitgegeben, noch eine Mindestschuld bzw. Sündhaftigkeit.

"Menschenrechte": für mich direkt mit dem Körper fühlbar, in der Bauch- und Torsogegend (zumindest immer dann, wenn ich mit ekelhaften Verstößen gegen die Menschenrechte konfrontiert bin). Ich bin mir sicher, dass dieses Gefühlswissen/Wissensgefühl weitestgehend angeboren ist. (Wahrscheinlich sitzt es direkt im "Geist".) Jedenfalls habe ich hier einen sicheren Stand und so gut wie keine Zweifel. Meine Eltern haben mich in dieser Hinsicht offensichtlich nicht verzogen, und sie mussten mich auch nicht groß erziehen. – Ich brauche also keine Begründung, die es logischerweise so oder so nicht geben kann. Wir befinden uns hier auf der Ur-Ebene. Alle Logik muss irgendwo enden, und sie endet eben hier. Die Menschenrechte gibt es. Basta. Logisch betrachtet reine Willkür, aber mit Substanz im Gefühl.

Ich kritisiere nicht das grunsätzliche Bedürfnis des Menschen nach Religion und nach Sicherheit und nach irgend etwas, an das man "glauben" kann.

Das mit der Feierlichkeit klappt für mich aber sehr viel besser, wenn man es nicht nur auf den Menschen beschränkt. Also, z.B:

"Die Würde Die Heiligkeit (Die Schönheit) der göttlichen Schöpfung ist unantastbar."

Die Selbst-Bezogenheit des Menschen ist zwar verständlich – gerade im Falle Deutschlands mit seinen dunkelsten 12 Jahren und seinen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – aber irgendwie auch ein bißchen kleingeistig.

Wer z.B. die Tiere nicht achten kann, übersieht etwas Entscheidendes. Er übersieht Brüder und Schwestern. Er übersieht Kinder. (Und trotzdem bin ich kein Vegetarier, aber ich achte auf's Maß Halten.)

Das Hantieren mit Kunstbegriffen wie das von der "Menschenwürde" kann sich negativ auf den Menschen auswirken. Insbesondere Kunstbegriffe – neben Begriffen im allgemeinen und überhaupt – rauben dem Menschen seine Unmittelbarkeit zur Realität. Wenn der Begriff kein unmittelbares Verständnis / kein unmittelbares Bedeutungsbild im Menschen hervorruft, zieht es den Menschen nicht in sein Gefühl hinein, sondern hinaus. Der Prozess des lebendigen Erkennens wird behindert. Der Geist (der Intellekt) ist zu stark mit seinen Konzepten, Wünschen und Ängsten beschäftigt. Denn der Mensch hat grundsätzlich Angst um seine Begriffe und Glaubenssätze, gerade wenn auf ihnen scheinbar die "Weltordnung" beruht.

Vielleicht überarbeiten wir ja mal §1 GG und befreien uns von dem unnötigen Kitsch. Ich würde es bevorzugen, die "Menschenwürde" zu streichen und stattdessen den Begriff der "Menschlichkeit" zum zentralen Orientierungspunkt zu erheben. Dieser Begriff ist viel näher dran am Denken des einfachen Mannes auf der Straße – für den das GG ja in erster Linie gemacht ist.

Diese "Menschlichkeit" sei also die "Pflicht aller staatlichen Organe". – Doch hüte sich der Staat davor, diese "Menschlichkeit" allzu stark zu normieren! Halte er sich streng aus dem Privatbereich der Menschen hinaus! "Menschlichkeit" ist zu allererst Sache der einfachen Menschen! Es ist ein Menschenrecht, sich Menschlichkeit im Privaten selbst definieren zu dürfen. Und eben dieses Recht sollte vom Staat verteidigt und nicht angegriffen werden!

Das große Irreführende an einem Begriff wie "die Würde des Menschen" ist eben, dass der Begriff "Würde" darin vorkommt.

Kann es sein, dass das leere Gerede von der "Menschenwürde" unseren normalen Begriff von "Würde" stark aus unserem Bewusstsein verdrängt hat? Allein aufgrund der begrifflichen Doppelbelegung leidet die normale (und, wie ich meine, reale) Würde unter dem Luftschloss "Menschenwürde". Das menschliche Bewusstsein und Unterbewusstsein hat sich so sehr daran gewöhnt, nichts wirklich in der Hand zu haben, wenn der Begriff "Würde" fällt, dass die normale Würde praktisch in Vergessenheit geraten ist. Sie wird fast gar nicht mehr "übersetzt" im psychischen Apparat. Zumindest ist sie als Denkmode gerade alles andere als "in". Man legt heute keinen besonderen Wert darauf.

Leben wir nicht in sehr "würdelosen" Zeiten? – Ich nehme es so wahr, dass Ideale wie "Würde" und "Anstand" kaum noch Anhänger haben. Und mit dem noch deutlich stärkeren Begriff der "Ehre" können wir gar nicht mehr umgehen. Wie überlassen ihn fast gänzlich den Rechten der stumpfesten Sorte oder sonstigen primitiv archaischen Kulturen. ("Gott! Ehre! Vaterland!" ist einer ihrer Schlachtrufe – aber wieso nicht auch unserer? Okay, "Gott" und "Vaterland" sind natürlich Ansichtssache…)

Mit der normalen Würde verhält es sich jedenfalls wieder ganz entzückend einfach und pragmatisch! Es gibt hier kein Dogma, dass jeder "die gleiche Menge Würde" hat! (Wie langweilig! Wie mechanisch! Wie starrsinnig und kindisch!) Es gibt hier nur die Taten, die zählen, im Positiven wie im Negativen, und es ist durchaus möglich, ein würdeloses Arschloch zu sein, ein Mensch ohne Würde, zumindest mit herzlich wenig Würde.

Diese normale Würde hat auch die wundervolle Eigenschaft ganz real "unantastbar" zu sein! (Sonst ist damit ja nur "indiskutabel" gemeint…) Es ist in einem Gewaltverbrechen der Täter, der seine eigene Würde beschädigt! Das Opfer erleidet zwar eine tiefe Mißachtung seiner Grundrechte und seines Rechts auf Anerkennung und Respekt – wodurch auch das Selbst-Bewusstsein und das Würde-Empfinden erschüttert werden kann – aber es erleidet nicht wirklich, nicht objektiv, einen Würde-Schaden! (Und dieser Gedanke wirkt auf mich sogar heilsam und tröstend in Hinblick auf die Juden und andere Opfer des Dritten Reiches. An ihrer Würde wurde nichts verbrochen!)

Das menschliche Bewusstsein kann also mit allerlei heeren Begriffen ausgestattet sein – und doch das Wesentlichste verfehlen. Ja, gerade weil man diese heeren Begriffe in seinem Bewusstsein mit sich herum trägt. Das Unmittelbare, die Unmittelbarkeit geht verloren. Letztlich kann es dahin kommen, dass man die Menschlichkeit verfehlt. Dass man sie nicht mehr umittelbar erkennt. Dass man etwas mit einem Nazi gemein hat…

Genau genommen kann auch ein Begriff wie "die Menschlichkeit" schon eine Entfernung von der Unmittelbarkeit bewirken. Dies ist aber letztlich auch ein unvermeidbarer Bestandteil menschlicher Existenz. Begriffe sind eben Begriffe und Erfahrung ist Erfahrung. Eine gewisse Spannung zwischen Realität und Begriffen ist natürlich.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet aller Voraussicht nach dieses Jahr über die Kriminalisierung der Sterbehilfe in der letzten Legislaturperiode. Ich mache mir etwas Sorgen über die Richter: Kennen sie noch Würde? Kennen sie noch Anstand? Haben sie Ehre? Sind sie menschlich? – Im Bundestag hat die Mehrheit diesbezüglich versagt. – Ich würde ihnen gerne zurufen: Vergesst all die Jahre Eures Jura-Studiums! Vergesst all die Begriffe und Konstrukte in Eurem Kopf! Vergesst alle Paragraphen! Schließt die Augen, atmet tief durch, und nehmt Kontakt mit Eurem Mensch-Sein auf. Und urteilt dann erst über richtig und falsch. Und behandelt andere so, wie Ihr selbst behandelt werden wollt.




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