"Deutschland ist ein Einwanderungsland." – Dies ist kein normaler Satz. Dies ist ein Satz, mit dem man sich Zugang zur besseren Gesellschaft verschafft. Er ist eine Bekenntnisübung, Bekenntnisbezeugung, ein Signal der Zugehörigkeit, ein Signal der "Humanität", der höheren Moral, des guten Willens. So will es der Mainstream.
Es geht hier nicht um eine nüchterne Tatsachenbeschreibung. Gemeint ist immer: "Deutschland soll ein Einwanderungsland sein." Und dies sitzt so tief, dass man so tut, als sei es eine unverrückbare Tatsache, ein tiefer Aspekt der Realität, der überhaupt gar nicht zu ändern ist. Daher lässt man das "soll" weg. Als gehe es hier um etwas, das nicht mehr der freien, demokratischen Realitätsgestaltung und dem freien, menschlichen Willen unterliegt. Anscheinend hängt der Mensch bei diesem Thema dem Glauben an, dass es hier um etwas ganz Gewaltiges geht, um eine Entscheidung von so gewaltiger, moralischer Dimension, dass man sich dem Thema gar nicht mehr pragmatisch nähern darf.
Ein Pragmatiker würde an die Sache einfach so herangehen: "Lasst uns doch jedes Jahr von neuem darüber entscheiden, ob (und in welchem Maße und in welcher Weise) wir ein Einwanderungsland sind." Und ihm wäre auch ein Wechsel zwischen den beiden "Gegensätzen" (–) möglich: Das eine Jahr ein Einwanderungsland, das andere Jahr mal kein Einwanderungsland. Vielleicht auch mal ein ganzes Jahrzent von dem einen, dann ein ganzes Jahrzent von dem anderen.
Selbst hauptberufliche Befürworter der Multikulti-Idee geben offen zu, dass es mit der "weiteren Vervielfältigung von Vielfalt" (Özoguz) nicht eine so ganz einfache Sache ist. Und dass es, neben Erfolgen, häufig auch Defizite bei der "Integration" gibt, eben weil sie eine Herausforderung ist (für alle Seiten). – Wäre es daher nicht gut, sich mal eine Pause zu geben, wenigstens geben zu können, gerade wenn man merkt, die Integrationserfolge sind doch recht bescheiden? Haben wir die Türken-Zuwanderung schon gut genug verdaut? (Haben sie uns verdaut?) Sind unsere Neu-Bürger welcher Abstammung auch immer gut integriert und beobachten wir in der Breite eine gesunde Multikulti-Gesellschaft, frei von Diskriminierung und Parallelgesellschaften? – Es ist dabei vollkommen egal, wer an mangelnder Integration schuld ist, ob es "wir Deutschen" sind oder "die anderen". Der Mißstand ist als solcher Grund genug, um auf die Bremse zu treten. Denn der Mißstand ist nicht nur lästig. Er tut mitunter auch richtig weh, mit Opfern auf beiden Seiten. Und selbst eine beständige, untergründig schwelende Frustration ist schlimm genug. Auch ein "mildes" Leiden ist ein Leiden. Wer eine 100kg-Hantel nicht stemmen kann, sollte sich nicht 110kg zumuten. Wieso sollte es nicht möglich sein, nach diesem Prinzip zu handeln?
Vielsagend ist der folgende Ausschnitt aus "hart aber fair" aus dem Jahre 2014. Hier hat mir die AfD noch wesentlich besser gefallen. Bernd Lucke war noch mit an Bord. Die Flüchtlingskrise noch nicht passiert. Und es haben sich auch einige Migranten in dieser Partei engagiert. (Wie der Stand diesbezüglich heute ist, weiß ich nicht.) Die These, dass wir Zuwanderung brauchen, wird erst relativ sachlich und plausibel erhoben, doch dann kommt ein gehöriger Schuss Dogmatismus hinzu, bis hin zu der peinlichen Wortklauberei um "Einwanderung" oder "Zuwanderung" und eben der großen Bekenntnisprüfung an die Adresse von Bernd Lucke: "Sind wir ein Einwanderungsland?" – Hätte er "nein" gesagt, wäre er unten durch gewesen… Man merkt deutlich, wie es keinem gefallen hat, dass er die Prüfung bestanden hat.
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