Mittwoch, 13. Juni 2018

Man muss den Prozess mal in seiner ganzen psychologisch elementaren Wirklichkeit sehen: Wir stehen alle vor dem gleichen Wort, den gleichen Worten, – und schlagen von dort unterschiedliche Wege des Assoziierens und Meinens ein.

D.h. also die gleichen Worte bedeuten für uns jeden etwas anderes. Natürlich immer auch graduell. Das ist kein Feld absoluter Beliebigkeiten. Aber vom Grundsatz und mindestens in der Feinjustierung der Assoziationen gilt dies immer.

Und so gibt es also Leute, die vor den Worten "Hitler war nur ein Vogelschiss" stehen und daraus machen: "Der millionenfache Massenmord war nur ein Vogelschiss" – und es gibt Leute, die diesen Assoziationspfad nicht einschlagen. Erstere regen sich natürlich heftig auf. Letztere in der Regel nicht, außer sie finden auf ihrem individuellen Pfad Gründe dafür.

Und ganz offensichtlich – das muss auch in aller elementaren Klarheit gesehen werden – gibt es hier sehr häufig Nebenmotiviationen. Und nicht selten sind es diese Nebenmotivationen, die den Ausschlag dafür geben, ob man zu der einen Sorte von "Verständigen" gehört, oder zu der anderen.

Nebenmotivationen sind es, die einen dazu treiben, sich allen Ernstes auf den Standpunkt zu stellen: "Meine Interpretation der Worte ist die einzig richtige!"

"Was hat mein Gegenüber wirklich sagen wollen?" – Soweit ich das betrachte, ist es sehr selten, dass eine Kommunikation über Politisches oder Moralisches von einer solch reinen Motivation angetrieben ist. Ein Machtinstinkt in uns – und Macht gehört mit zu den stärksten Motiven in uns, vor allem im moralischen Bereich – gibt uns schon ziemlich früh Signale darüber, welche Assoziationen für uns in diesem Fall von Vorteil sein werden – z.B. nämlich um seinen politischen Gegner angreifen zu können. Indem ich die Worte meines Gegners bewusst auf eine ganz bestimmte Weise interpretiere, kann ich es z.B. "nachweisen" (haha), dass er eine schlechte moralische Gesinnung hat, und dass ich daher der Überlegene bin und mit allen meinen politischen Anliegen Vorrang genießen sollte.

Was Kommunikation sein sollte, ist also stattdessen häufig nur ein Machtkampf. Und der Machtkampf mit der Sprache verläuft stets so, dass wir zu allererst damit beginnen, die Sprache starr zu machen – eben immer da, wo es zu unseren Gunsten ist.

Aber das ist irgendwie auch ein recht kindisches Spiel. Denn wir spielen dieses Spiel nicht nur so weit, wie es (manchmal eben) nötig ist, sondern wir übertreiben damit grundsätzlich. Wir treiben es gerne so weit, dass wir uns selbst darin verlieren, und uns immer wieder allen Ernstes auf den Standpunkt stellen, dass man hier oder dort nun wirklich nicht mehr anders denken kann, als wir es tun. Dieses Wort ist so zu interpretieren, dieses Wort so, – und am Ende kommt unsere einzig richtige Interpretation des Gesagten mit einer Notwendigkeit heraus als würde man eine Mathematik-Aufgabe lösen, und das haben bitte alle anzuerkennen. Das nenne ich kindliches Verhalten.

Und dann kommt folgender Schlachtruf auf: "Die Maske ist gefallen!" Spätestens jetzt ist die Maske "für jeden sichtbar" gefallen! Spätestens jetzt gibt es keine Ausrede mehr. Spätestens jetzt musst Du der AfD den Rücken kehren. Weil sie da vor uns liegen, diese beiden Worte "Hitler" und "Vogelschiss", und weil es hier überhaupt keine andere Deutungsmöglichkeit gibt als die unsere.

Was man hier im Grunde nur tut: Selbst-Bestätigung. Man konstruiert sich gedanklich Bestätigungen seiner eigenen Sichtweise, indem man sich vormacht, von seinem Gegner absichtlich oder unabsichtlich bestätigt worden zu sein.

Aber wie oft hat man schon einen solchen Sieg über die AfD ausgerufen? – "Demaskiert!", "Jetzt ist aber wirklich die rote Linie überschritten!", "Jetzt ist sie wirklich untragbar!", "Für jeden sichtbar" – Ich sage, dies hilft auch diesmal nicht, um mit dem "Problem AfD" fertigzuwerden. Denn letztlich sind alle Signale, die wir aussenden, in unserem Gegner nur so kraftvoll, wie er sie auch in sich hineinlässt.

Was anderes ist es natürlich, dass es heute immernoch Zeitzeugen und Überlebende der Shoa gibt, die aufgrund ihrer persönlichen Verquickung und traumatischen Erfahrung es nur schwer ertragen können, einen Satz wie "Hitler war nur ein Vogelschiss" zu hören. An diesem Punkt kann man Gauland natürlich einen Vorwurf machen, denn diese Menschen haben wirklich einen handfesten Grund für eine eventuelle Unfähigkeit, sich für die wahre Aussageabsicht zu interessieren, wenn sie mit bestimmten Bildern konfrontiert werden. Daher könnte ich das Urteil bejahen, dass Gauland sich unhöflich und unanständig verhalten hat – eben in Hinsicht auf diese besondere Gruppe. Aber es sollte für Außenstehende, also praktisch die gesamte Gesellschaft, nicht nötig sein, die Kontexte hier durcheinander zu schmeißen und Gauland die Aussageabsicht "Millionen getötete Menschen sind nur ein Vogelschiss" unterzuschieben. Das ist einfach nur affig, peinlich, triebgesteuert und unreflektiert.

Wie man sich auf Sprache stürzt und sich an jedem einzelnen Wort festhält:

https://twitter.com/dunjahayali/status/1003895192687120386





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