Donnerstag, 30. September 2021

Benedikt Kaiser gehört zum engsten Zirkel der "Neurechten" in Schnellroda. Er ist regelmäßiger Teilnehmer bei den Podcasts "Am Rande der Gesellschaft".

Gerade hat er etwas auf Twitter geschrieben, das auch mich etwas irritiert hat:

Das muss man sich alles mal auf der Zunge zergehen lassen. „Wenn jeder Migrant ‚Deutscher’ wird, ist es kein Austausch mehr.“ Das schreibt wohlgemerkt kein Grüner, kein FDPler, keiner von der Linkspartei.


Bezug nimmt er auf den eingebetteten Tweet von Jurij Kofner:

Wenn jeder Migrant "Deutscher" wird, ist es kein Austausch mehr. Deutsch sein ist, ad extremum, eine Frage der Erziehung und nicht der Hautfarbe. Das Problem ist eher, dass diese (patriotische) Erziehung durch Kulturmarxismus verpönt wird, für ethnisch Deutsche und für Migranten.

 

Kaisers Tweet wirkt auf den ersten Blick so, als würde er einer Gesinnung fröhnen, in der Migranten überhaupt nicht zu "Deutschen" werden können. Ich glaube, dass dem nicht so ist und dass man auch andere Aussagen von ihm dazu finden kann. Trotzdem erschien mir der Tweet zu Anfang als Ausdruck einer "starken gedanklichen Enge". Dies hielt ich sogar fast für ein ernstes Problem. Ich dachte fast, ich muss meine Meinung über diese "Neurechten" revidieren und mich dem allgemeinen Kult der Verteufelung anschließen. – Wie man sieht, wirken auch in mir die Angst- und Bewertungs-Reflexe des Mainstreams.

Kaiser denkt gewissermaßen "enger" als ich, wenn es um Fragen des Deutsch-Seins geht. Und er denkt enger als Kofner. Und bereits Kofner denkt (vermutlich) enger als ich.

Diese Feststellungen aber sind zuerst rein formal zu begreifen. "Enge" muss nicht negativ gewertet werden. Genauso wenig wie das Gegenteil, "Weite", mich automatisch adelt. Denn in diesem Kontext geht es im Prinzip um Fragen des Identifikationsverhaltens. Es geht um die Art und Weise, wie man sich im Geiste in ein Wir hineinsetzt. Wo man dieses Wir beginnen und wo enden lässt. Wenn sich Kaiser als "deutsch" sieht ("identifiziert") und im Geist ein Band zu "seinesgleichen" knüpfen möchte, und er dabei anhand von Kriterien selektiert, die zu einer "engeren" Auswahl führen als die meine, dann ist das sein gutes, gottgegebenes Recht. Denn Identifikationsverhalten ist immer frei und außermoralisch. Das gilt selbst für "rassistische" Arten der Wir-Definition und Identifikation. Das kollektive, gruppenbezogene Identifikationsverhalten erbt gewissermaßen alle Freiheitsrechte der persönlichen Ich-Definition und -Suche. – Wir würden doch auch keinem moralische Vorwürfe machen, weil sich jemand z.B. mit seinem Körper und seiner Gestalt identifiziert! Oder weil er sich gerade nicht mit seinem Körper identifiziert und sich nur für einen reinen "Geistmenschen" hält! Oder weil jemand sein Hirn für wichtiger hält als seine Geschlechtsteile. Oder andersrum! Das sind alles so hochpersönliche Fragen und Angelegenheiten einer elementarsten Freiheit, dass ich im Grunde ständig fassungslos bin, wie alle Welt (der Mainstream) sich hier ohne jede Bescheidenheit und Selbstbeschränkung zum Richter erhebt, und über angeblich richtige und gute und angeblich falsche und schlechte Formen der Identifikation urteilt – und damit auch über angeblich gute und schlechte Menschen! Die Beziehung zum eigenen Körper muss aber jeder mit sich selbst aushandeln. Ebenso die Beziehung zu den möglichen Volks- und Kollektivkörpern, zu den man potentiell gehören kann.

Elementarbedürfnisse sollten immer frei sein. Auch von dieser Perspektive aus gibt es für mich keine Möglichkeit, sich an der geistigen Freiheit zu vergreifen. Es soll Menschen geben, die beim Anblick geometrischer Formen erotische Gefühle entwickeln. Was soll man dazu sagen? Wie soll man das bewerten? – Gar nicht. Es ist okay, so wie jede andere Art des elementaren Fühlens und Denkens. Wenn wir alle so drauf wären, dann gäbe es an den Schulen eine Schnittmenge zwischen Mathematikunterricht und Sexualkunde. Nur sind wir mehrheitlich nicht so drauf. In Politik und Gesellschaft setzen sich natürlich am leichtesten die Bedürfnisse, Wahrnehmungen und Interessen durch, die von einer großen Mehrheit geteilt werden. Andere Menschen haben es eben mit der Einwanderung und dem eigenen Volk und haben in Bezug darauf ihre persönlichen, spezifischen Gefühle und Bedürfnisse. Und das gleiche gilt nochmal für das Thema "Rasse", zu dem ich in den Texten "Wirkende Wirklichkeit" [1] [2] [3] ausführlicher Stellung genommen habe. Auch hier gilt: Erlaubt ist, was gefällt.

Interessenkonflikte zwischen Menschen mit unterschiedlichen oder schwer vereinbaren Grundbedürfnissen müssen demokratisch und mit größtmöglicher Fairness ausgehandelt werden. Man muss hier keinen Krieg zwischen den angeblich "gesunden" und guten und den angeblich "kranken" und bösen Menschen vom Zaun brechen. Lasse man alles zu, lasse man alles zu Wort kommen, und dann überlege man sich, wie jeder seine größtmögliche Selbstverwirklichung und Freiheit leben kann. Verzichte man auf das Mittel der Unterdrückung. Verzichte man auf geistige Gewalt und Schmähung. Verzichte man darauf, Menschen zu "Unberührbaren" zu machen.




... link (0 Kommentare)   ... comment