Donnerstag, 23. Dezember 2021

Immernoch beschäftigen mich diese Fragen: Welche Form des Sehnens und Liebens tut weh und welche nicht? Und warum hilft der "diffuse Blick"? Warum hilft das Ungefähre?

Vielleicht, weil man auf diese Art die Realität weicher anfässt. So können wir dann auch nicht so hart von ihr getroffen werden. Die Realität schlägt wohl immer so hart zurück, wie wir sie aufgreifen.

Und/Oder es hat etwas mit dem Maß an Wahrheit bzw. Irrtum zu tun, das in unseren Wahrnehmungen liegt. Mir scheint, dass unsere Kopfeinheit aus Denk-, Sprach- und Wahrnehmungsapparat eine kritische Eigenschaft mit sich bringt, die uns schon oft auf Abwege geführt hat: Sie ist an zu harte, zu starke, zu plakative Urteile gewöhnt. Sie neigt dazu, alles zu übertreiben. Sie macht z.B. aus kleinen Unterschieden große Unterschiede. Die "Tatsache" z.B. dass Frauen "das schwache Geschlecht" sind und Männer das "starke", kann uns leicht dazu verleiten, zu glauben, Frauen hätten keine Kraft. Allein aufgrund unserer Sprachlogik rutschen wir manchmal in Irrtümer hinein.

Ähnlich scheint es auch mit den visuellen Fotographien zu sein, die wir im Laufe des Lebens in unserem Gedächtnis ansammeln: Sie sind immer ein bißchen zu hart. Ständig vergreifen wir uns an der Realität. Ständig simplifizieren wir sie. Ständig werden wir ihr nicht wirklich gerecht. Wir fokussieren uns z.B. zu stark auf die vereinzelten Objekte.

Und mit diesem Fehlgriff auf die Realität geht oft ein unanständiger Besitzwille einher. Wir glauben, wir hätten alles richtig erfasst und hätten nun das Recht, uns ein Stück Realität in die Tasche zu stecken. Doch dem ist nicht so. Gemessen an unserem wahren Kenntnisstand ist ein "diffuser Blick" häufig der ehrlichere Blick. Und der sanftere, der liebere. Auch lieber gegenüber der Realität selbst.

Ich nehme an, es hat irgendetwas damit zu tun, dass auch das Sehnen und Lieben dann schmerzfreier ist. Man muss den fehleranfälligen Wahrnehmungsapparat umgehen lernen und seine Zugriffs- und Besitzreflexe besänftigen.




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