Donnerstag, 28. November 2024
Es gibt im Rechtswesen die ganz grundsätzlichen Unterteilungen in Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. Zwischen grober Fahrlässigkeit und Vorsatz gibt es wohl noch die Kategorie "bedingter Vorsatz", die mir nicht gänzlich klar ist.

Wir Menschen wissen grundsätzlich sehr gut, was hier gemeint ist. Hier ist die Juristerei mal ziemlich praxisnah und wenig gekünstelt-dogmatisch. Man muss nicht groß Jura studiert haben, um mitreden zu können. Es reicht ein Blick in die eigene Psyche, um zu wissen, dass diese Unterscheidungen Sinn machen. Eine jede Untat rangiert irgendwo auf einer Skala zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz. Eine jede Schuldzuweisung muss diesen Aspekt berücksichtigen. Vorsatz ist schlimmer als Fahrlässigkeit. Aber Fahrlässigkeit allein ist schon schlimm genug. Der Vorwurf der "Schuld" ("Verantwortung" negativ gedacht) kann ab diesem Punkt erhoben werden. Eine Untat ohne Fahrlässigkeit und ohne Vorsatz -- selten, aber durchaus möglich -- ist dagegen nur eine Art Unfall, ein Unglück wie eine Schneelawine oder ein Vulkanausbruch. Keine Absicht, keine Fahrlässigkeit, und doch sterben Menschen.

Nun könnte man sich die Frage stellen, wo genau das Verhalten der israelischen Armee einzuordnen ist. Aber ich finde das letztlich irgendwie etwas spitzfindig. Das massenhafte Töten von Zivilisten ist ein massenhaftes Töten von Zivilisten. Wenn die Machbarkeit im Krieg eine mildere Gangart zulässt, befinden wir uns weit im Bereich der Schuld. Und ich verstehe nicht, wieso der Vorwurf des "Völkermords" an den Aspekt der bewussten Absicht bzw. des Vorsatzes gekoppelt sein sollte. Millionen Zivilisten aus Fahrlässigkeit getötet ist also lediglich eine "Massentötung", während man die gleiche Untat mit bewusster Absicht als "Völkermord" eintütet? -- Mich überkommt gerade der Verdacht, dass man sich diese Definitionen mit wohlwollenden Blick auf Israel hat einfallen lassen. Ich verwerfe diesen Verdacht. Aber die derzeitige israelische Regierung kann sich ziemlich glücklich schätzen, dass man "Völkermord" so definiert.

In Anbetracht von massenhaften Tötungen im Krieg erscheint mir die Unterscheidung zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz auch weniger wichtig zu werden. Während man bei einem einzelnen Tötungsdelikt vor Gericht zu Recht sehr genau in die Psyche des Täters zu schauen versucht, ist beim Krieg so oder so alles im Arsch. Und was kümmert es die Toten und die noch bald Getöteten, ob die Verantwortlichen aus Fahrlässigkeit oder Vorsatz handeln? Das resultierende Unrecht ist zu groß. Hier macht diese Unterscheidung kaum noch Sinn. Allein aus der philosophischen Perspektive kann man noch daran festhalten, dass ein Verbrechen mit Vorsatz von "böserer Qualität" ist. Aber das ist an dieser Stelle eben eine Spitzfindigkeit. Die moralische Empörung und die Pflicht zum Widerstand sollten sich nicht an Spitzfindigkeiten orientieren.

Wie es aussieht, lädt Israel bzw. die derzeitige israelische Regierung schwere Schuld auf sich. Wir Deutschen sollten das genau so hart kritisieren wie in jedem anderen Fall. Über der "Staatsräson", die uns zur Brüderlichkeit mit Israel verpflichtet, stehen nämlich noch ein paar andere von höherem Range: Jeder Staat sollte Vernunft, Menschlichkeit und eine strenge Moral also "Staatsräson" haben. Erst danach kommen irgendwelche Sonderbeziehungen zu irgendwelchen Staaten dieser Welt. Und man kann auch nicht von sich behaupten, seine Lehren aus dem Faschismus und den völkermordenden Nazis gezogen zu haben, während man sich gleichzeitig blind stellt für die massiven Verbrechen gegen die palästinensiche Zivilbevölkerung. Sich überhaupt gegen irgendeine Opfergruppe blind zu stellen -- immer und überall, egal in welchem Kontext --, ist ein elementares Versagen auf dem Feld der Moral.

Tagesschau von heute, 28. November 2024:
https://youtu.be/EsKBtwM1aQ0?t=256&si=m3eeSaWZphDze6pK



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