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Samstag, 7. Oktober 2017
gedankenmaler, 17:04h
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gedankenmaler, 16:08h
Nietzsche, Friedrich, Die fröhliche Wissenschaft, Zweites Buch, 57. An die Realisten
An die Realisten. – Ihr nüchternen Menschen, die ihr euch gegen Leidenschaft und Phantasterei gewappnet fühlt und gerne einen Stolz und einen Zierat aus eurer Leere machen möchtet, ihr nennt euch Realisten und deutet an, so wie euch die Welt erscheine, so sei sie wirklich beschaffen: vor euch allein stehe die Wirklichkeit entschleiert, und ihr selber wäret vielleicht der beste Teil davon – oh ihr geliebten Bilder von Sais! Aber seid ihr nicht auch in eurem entschleiertsten Zustande noch höchst leidenschaftliche und dunkle Wesen, verglichen mit den Fischen, und immer noch einem verliebten Künstler allzu ähnlich? – und was ist für einen verliebten Künstler »Wirklichkeit«! Immer noch tragt ihr die Schätzungen der Dinge mit euch herum, welche in den Leidenschaften und Verliebtheiten früherer Jahrhunderte ihren Ursprung haben! Immer noch ist eurer Nüchternheit eine geheime und unvertilgbare Trunkenheit einverleibt! Eure Liebe zur »Wirklichkeit« zum Beispiel – oh das ist eine alte, uralte »Liebe«! In jeder Empfindung, in jedem Sinneseindruck ist ein Stück dieser alten Liebe: und ebenso hat irgendeine Phantasterei, ein Vorurteil, eine Unvernunft, eine Unwissenheit, eine Furcht und was sonst noch alles! daran gearbeitet und gewebt. Da jener Berg! Da jene Wolke! Was ist denn daran »wirklich«? Zieht einmal das Phantasma und die ganze menschliche Zutat davon ab, ihr Nüchternen! Ja, wenn ihr das könntet! Wenn ihr eure Herkunft, Vergangenheit, Vorschule vergessen könntet – eure gesamte Menschheit und Tierheit! Es gibt für uns keine »Wirklichkeit« – und auch für euch nicht, ihr Nüchternen –, wir sind einander lange nicht so fremd, als ihr meint, und vielleicht ist unser guter Wille, über die Trunkenheit hinauszukommen, ebenso achtbar als euer Glaube, der Trunkenheit überhaupt unfähig zu sein.
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gedankenmaler, 11:16h
Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse, Zweites Hauptstück. Der freie Geist, 24
O sancta simplicitas! In welcher seltsamen Vereinfachung und Fälschung lebt der Mensch! Man kann sich nicht zu Ende wundern, wenn man sich erst einmal die Augen für dies Wunder eingesetzt hat! Wie haben wir alles um uns hell und frei und leicht und einfach gemacht! wie wußten wir unsern Sinnen einen Freipaß für alles Oberflächliche, unserm Denken eine göttliche Begierde nach mutwilligen Sprüngen und Fehlschlüssen zu geben! – wie haben wir es von Anfang an verstanden, uns unsre Unwissenheit zu erhalten, um eine kaum begreifliche Freiheit, Unbedenklichkeit, Unvorsichtigkeit, Herzhaftigkeit, Heiterkeit des Lebens, um das Leben zu genießen! Und erst auf diesem nunmehr festen und granitnen Grunde von Unwissenheit durfte sich bisher die Wissenschaft erheben, der Wille zum Wissen auf dem Grunde eines viel gewaltigeren Willens, des Willens zum Nicht-wissen, zum Ungewissen, zum Unwahren! Nicht als sein Gegensatz, sondern – als seine Verfeinerung! Mag nämlich auch die Sprache, hier wie anderwärts, nicht über ihre Plumpheit hinauskönnen und fortfahren, von Gegensätzen zu reden, wo es nur Grade und mancherlei Feinheit der Stufen gibt; mag ebenfalls die eingefleischte Tartüfferie der Moral, welche jetzt zu unserm unüberwindlichen »Fleisch und Blut« gehört, uns Wissenden selbst die Worte im Munde umdrehen: hier und da begreifen wir es und lachen darüber, wie gerade noch die beste Wissenschaft uns am besten in dieser vereinfachten, durch und durch künstlichen, zurechtgedichteten, zurechtgefälschten Welt festhalten will, wie sie unfreiwillig-willig den Irrtum liebt, weil sie, die Lebendige – das Leben liebt!
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