Um die Betrachtung der suboptimalen psychischen Grundsituation des Menschen annähernd komplett zu machen, muss noch die Feigheit erwähnt werden. (Diesmal komme ich wieder ohne Parteinahme für rechts oder links aus. Dieses Thema ist mir zu wichtig.)
Sie ist da. Wir haben zuviel davon. Und wir haben kein Erziehungssystem, das sie uns auszutreiben versucht.
Für mich ist das eigentlich etwas Unfassbares. Ich verstehe es nicht. Warum? Warum ist das so? Hat hier denn keiner eine tiefe Liebe zum Menschen? Zur Seele? Zu sich selbst?
Feigheit ist für mich per Definition eine "billige Angst", eine Angst, die wir nicht haben müssten. Die wir nur mit ein kleines bißchen Anstrengung, Konzentration und Härte gegen uns selbst überwinden könnten. Mit ein kleines bißchen Ermutigung von außen wäre auch schon viel gewonnen.
Aber der überwiegend materialistische Blick der Politik übersieht hier den Handlungsbedarf. Als Verschwörungstheoretiker könnte man jetzt sagen: "Die Politik will das starke Individuum ja auch gar nicht. So hat sie eine leichter zu lenkende Herde." Ich glaube aber, man hat es bisher schlicht vergessen. Bzw. das Thema ist noch nicht zu Bewusstsein gestiegen. Man schätzt die Innenwelt des Menschen noch nicht genug. Die Politik fühlt sich dafür noch nicht zuständig. (Doch das sollte sie.)
Bei der Lektüre der "Weißbücher" des Vereins Sterbehilfe Deutschland [1] [2] [3] [4] [5] ist es mir das ein oder andere Mal aufgefallen: 70-, 80 Jahre alte Menschen, die beim Rückblick auf ihr Leben davon berichteten, dass sie sich nicht getraut haben, aus der Kirche auszutreten! 70, 80 Jahre Entwicklungszeit waren nicht genug, um dies zu leisten! Um sich geistig zu emanzipieren. Um das Wagnis einzugehen, allein mit Gott zu gehen und keine weltliche Bestätigung nötig zu haben. Um endgültig mit der Kirche zu brechen. Um stärker und größer zu sein als der Käfig der konditionierten Psyche. – Ich urteile nicht über sie. Ich bin ja selber auch feige. Und schließlich waren alle diese Menschen mutig genug, bewusst in den Tod zu gehen. Aber erstaunt hat es mich schon.
Jedenfalls zeigt es auf, was ohnehin klar sein müsste: Feigheit ist in ihren Auswirkungen auch politisch. Ich schätze das Ausmaß sehr groß ein. Ein kollektiver Rückgang der Feigheit um 90% würde uns ganz andere Wahlergebnisse einbringen. All die "Bürgerlichen", die CDU wählen, weil sie schon ihr ganzes Leben CDU gewählt haben und schließlich gar nicht mehr anders können. Die schon aus einer allgemeinen Angst vor Veränderung immer lieber beim Alten und Bewährten bleiben und die sich an der peinlichen Vorstellung festhalten, dass die CDU christlich sei. Und sehr wahrscheinlich gäbe es auch paar mehr Prozente für die AfD. Denn es verlangt vielen Mut ab, ihr Kreuz dort zu machen. (Wer hier jetzt sagt: "Ist doch prima, wenn die Feigheit von heute wenigstens dafür gut ist, der AfD Wählerstimmen vorzuenthalten.", der begeht für mich eine Todsünde, denn für mich gibt es nichts Heiligeres als die Seele.)
Für mich implizieren all diese psychischen Unzulänglichkeiten des Menschen eine dramatische und fundamentale Infragestellung unserer "Demokratie". Mir ist die Sichtweise möglich, dass wir de facto gar keine Demokratie haben, denn eine Demokratie setzt den mündigen Bürger voraus, der nicht nur theoretisch frei denken und wählen kann. Es braucht ein Mindestmaß an geistiger Emanzipiertheit, um eine Demokratie bilden zu können. Es gibt auch keine echte Religionsfreiheit, wenn sich die Menschen doch nicht trauen, aus der Kirche auszutreten. Der Geist muss entwickelt sein. Sonst ist alles nur Quark und billiger Schein. Wir sind zwar schon etwas besser dran als vor 100 Jahren, als die Kirchen noch viel massiveren Einfluss auf unsere Köpfe, Moralen und unser Gewissen hatten, doch wir haben noch ein gutes Stück zu gehen. – Ich warte noch auf die Partei, die sich das mal ins Programm schreibt.
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