Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass es normal ist, trans zu sein.
Oder man stellt sich auf den Standpunkt, dass es nicht normal ist, aber trotzdem völlig in Ordnung. Denn niemand muss normal sein. Außerdem kann man normal und unnormal auch durch die Worte gewöhnlich und außergewöhnlich ersetzen, und schon hat man eine ganz andere Wertungsaufladung bei mehr oder weniger gleich bleibender Bedeutung.
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass es nichts Häßliches gibt, dass das Häßliche schön ist.
Oder man stellt sich auf den Standpunkt, dass es häßlich und schön gibt, dass dies aber nicht so wichtig ist.
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass es keine Rassen gibt.
Oder man stellt sich auf den Standpunkt, dass es sie gibt, doch dass dies irrelevant ist.
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass es nichts typisch Deutsches gibt, und daher auch keine untypisch Deutschen, ja noch nichtmal Deutsche und Nicht-Deutsche.
Oder man stellt sich auf den Standpunkt, dass es dies sehr wohl gibt, dass es aber nicht so wichtig ist. Ob typisch deutsch oder untypisch deutsch oder gar nicht deutsch. Das kümmert mich überhaupt nicht, wenn wir zusammen ein Bier trinken gehen.
…
Was ich an diesem Zeitgeist vermisse, sind die jeweils zweitgenannten Ansätze. Dass man eher nach alternativen Wertungsmöglichkeiten sucht, anstatt gleich ganze Begriffe und Ideen über Bord zu werfen und dabei höchst intolerant zu werden gegenüber allen, die diesen Denkschritt nicht mitgehen wollen. Als sei dieser eine Denkschritt eine Notwendigkeit, etwas Alternativloses! Man kämpft immer gleich den aggressiven Kampf um DIE WAHRHEIT. Man proklamiert eine neue, humanere, moralischere Wahrheit und möchte sie in alle Köpfe hinein hämmern.
Dies ist in zweifacher Weise geistfeindlich: Zum einen wird hier ein Mainstreaming von Gedankenfiguren, Ideen und Parolen versucht. Also ein geistiges Gleichschalten, ein Missionieren, und das durchaus mit jeder Menge psychischen Drucks. Zum anderen ist dies eine unflexible, einseitig orientierte, intolerante Holzhammermethode. Man meint für eine gewünschte politische Wirkung (z.B. Rassismus überwinden), das Recht zu haben, die Realität simplifizieren und oben angedeutete, alternative Denkwege ignorieren zu dürfen.
Der Geist verflacht dabei unvermeidlich. Es fängt mit moralischer Verbissenheit an, mir krampfiger Angstfixierung und endet im Herunterbeten von vorgegebenen Parolen.
Im Grunde gibt der Zeitgeist von heute immernoch Glaubensbefehle. So wie die letzten 2000 Jahre. Wer nicht mitmacht, ist ein Ketzer und wird verfolgt, "muss bekämpft werden".
…
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass es keine Völker gibt und/oder dass sie kein Existenz-, Selbsterhaltungs- und Abgrenzungsrecht haben.
Oder man glaubt das Gegenteil, ist aber "trotzdem" offen für das ein oder andere Opfer, das ein Volk zu bringen hat.
... comment
ich bezweifle immer noch die korrektheit deiner beobachtung, dass die linke so total dogmatisch und geistfeindlich ist. vielleicht habe ich auch zu wenig kontakt mit den vermeintlichen dogmatikerInnen. die linken, die ich kenne, sehen das eher locker. manche sind in einigen punkten empfindlichen, in anderen wieder sehr tolerant, das liegt auch an den eigenen persönlichen interessen/erfahrungen. ich verstehe beim thema homophobie keinen spaß und halte auch straßennamen wie "mohrenstraße" für nicht akzeptabel. dass die eigenen werte nicht absolut gelten, und man dafür argumentieren sollte, nicht jedoch sie anderen aufzwängen, müsste allerdings jedem halbwegs intelligenten menschen klar sein.
der anti-pc-twitter-heini ist übrigens in anderen punkten DOGMATISCH:
"Man kann Freiheit nicht ohne den Begriff der Individualität und Individualität nicht ohne den christlichen Begriff der Seele denken."
was begriffe wie "volk" angeht, so halte ich es für einen großen fortschritt, dass man heute nicht mehr automatisch daran glaubt, es gibt "völker", dass man also einen ethnischen essentialismus aufgegeben hat. kein sprech- oder denkverbot, sondern eine bereicherung des kritischen denkens. wie haben sich begriffe wie "volk" oder "ethnie" im laufe der zeit herausgebildet, entwickelt, wie sind sie eingflossen in wissenschaftliche theoriebildung, wie werden sie von individuen und gruppen zur selbstbeschreibung und fremdbeschreibung genutzt, wie werden sie instrumentalisiert, kann man auch ohne dies konstrukte auskommen und was sind vor und nachteile? das gegenteil einer verflachung des denkens, ein tieferes, kritischeres denken wird dadurch möglich.
... link
... comment