Samstag, 22. September 2018
Scobel auf 3Sat, Sendung vom 20.9.18: Neue Wege in der Entwicklungspolitik

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=75959

ab 31:17… (Gert Scobel)
Alle Menschen, die gelebt haben, und die jetzt leben, und folglich also auch all diejenigen, die in Zukunft leben werden, haben eine einzige, gemeinsame Herkunft: Wir alle kommen genetisch und geographisch aus Afrika. Das ist keine hübsche Metapher oder Fake-News von neoliberalen Spinnern und Lügnern, sondern eine nach allen Regeln der Wissenschaften fundierte Tatsache. Diese Tatsache verdrängen –wir–, damit meine ich die Europäer, und zwar massiv. Warum? Weil wir dann nämlich zugeben müssten, dass Europa in Wahrheit ein Kontinent ist, auf dem es nur deshalb menschliches Leben und Kulturen gibt, weil Menschen dort hingewandert sind. Wir alle sind Migranten, seit über 100.000den von Jahren und vor allem in den letzten Jahrhunderten. Wenn Europa sich also heute abschirmen will gegen die Migranten, woher auch immer sie kommen, dann verdrängt es damit seine eigene Geschichte und verleugnet die eigene, ursprünglich afrikanische Herkunft.
(hier als Audio-Take: scobel - wir sind alle afrikaner und migranten (mp3, 1,071 KB) )

Ich fühle mich mal wieder auf ziemlich billige Weise belehrt. Und es ist so billig, dass es weh tut. Sowohl mein Grundbedürfnis nach stichhaltigen Argumenten wird verletzt, weil ich hier nur Scheinargumente aufgetischt kriege, als auch mein Bedürfnis, mit Respekt behandelt zu werden. Das unterirdische Niveau der "Argumente", der Tonfall und die langsame Sprechweise, die offensichtliche politische Stoßrichtung und dazu noch – wie so häufig – die Pathologisierung derer, die sich gegen Migration "abschirmen" wollen, mitsamt dem Gerede von "Verdrängung" und "Verdrängung der eigenen Herkunft"…

Da wird zuerst eine scheinbar seriöse Fassade aufgebaut, indem man mit Nachdruck auf die Fundiertheit der präsentierten Tatsache hinweist und sich fernab von jeglichen Fake-News-Vorwurf stellt. Dann wird unterstellt, dass "wir Europäer" diese Tatsache unterdrücken. – Ich tue es nicht. – Und es wird behauptet, dass, wenn wir diese Tatsache nicht unterdrücken würden, dass wir dann doch etwas zugeben müssten, was wir sonst ja auch nicht wahrhaben wollen. Also praktisch wiederrum die Unterstellung von Verdrängung. Dann wird nochmal alles schön in die Formel "Wir alle sind Migranten" gegossen und nun sollte doch alles klar sein. Subtext: Wer geistig gesund ist, wer nichts verdrängt und über das notwendige Wissen verfügt, der ist letztlich natürlich für Migration.

Ich finde, es ist allein schon unverschämt, solch einen Mist nur in den Äther zu gießen. Hat die Linke oder die Pro-Migrations-Fraktion keine besseren Argumente? Man kann man hier wohl von einem Bärendienst sprechen, denn ein schlechtes oder offensichtliches Schein-Argument ist häufig schlechter als gar kein Argument. Mich macht so etwas nur wütend. Und es ist ja nur ein Beispiel von vielen. Seitens des Mainstreams wird man sehr häufig mit solchem Schwachsinn massiert.

Den Menschen draußen vor den Empfangsgeräten traue ich aber sehr wohl zu, solche kognitiven Dissonanzen wahrzunehmen, ob bewusst oder unbewusst über das Gefühl. Man registriert, wenn irgendetwas nicht stimmt oder verlogen ist. Sogar Affen sind in der Lage, den Unterschied zwischen einem gekünstelten und einem ehrlichen menschlichen Lächeln zu erkennen. Das gekünstelte Lächeln macht sie aggressiv.

Und auch wir werden aggressiv. Immer mehr und mehr.



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Um auf den Inhalt einzugehen, auch wenn er mir recht offensichtlich absurd erscheint:

Zuerst ist da dieses extrem weite Zurückgreifen in der Zeit. Na klar, weil wir vor 120.000 Jahren alle von Afrika aus unseren Weg nahmen, sollten wir uns alle als Afrikaner verstehen, und als Migranten, auch heute noch. Ich frage mich, wieso man nicht noch weiter zurückgreift und auch die Verwandschaft mit den Tieren heraushebt. Sollten wir daraus nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass wir alle aus Solidarität zu den Tieren zu Vegetariern werden? – Wer sich die Scobel-Sendung von der zitierten Stelle aus ein bißchen weiter anschaut, wird in der Tat darauf hingewiesen, dass wir auch gemeinsame Gene mit den Fischen haben. Die Forderung nach vegetarischer Lebensweise wird aber nicht erhoben. Warum eigentlich nicht?

Für mich sind das alles ziemlich willkürliche Grenzziehungen durch die Existenz des Lebendigen. Die undifferenzierte Solidarität mit der Menschheitsfamilie als Ganzes scheint jedenfalls das größte Bedürfnis des heutigen P.C.-Mainstreams zu sein. Nur an dieses eine allumfassende Wir aller Menschen auf diesem Planeten sollen wir denken. Jedes andere, kleinere und kulturell definierte Wir, jede Ethnie, jedes Volk, jede Nation, darf nur weit untergeordnet hinter diesem einen großen Wir existieren. Wenn überhaupt. In der Praxis wird das Existenzrecht von Völkern, Nationen und Kulturen inzwischen eigentlich eher verneint als bejaht und es werden Prozesse gefördert, die diese historischen Gebilde mehr und mehr abtragen.

Aus kultureller und geistesgeschichtlicher Sicht macht es aber durchaus Sinn, in deutlich kleineren Größenordnungen als "100.000 Jahre" zu denken. Es reichen doch mitunter schon 10 oder 20 Jahre einer besonderen Entwicklung, um aus einer wenig spezifischen Kultur etwas Besonderes zu machen. Die knapp 50 Jahre "Sozialismus" in der DDR haben die Menschen dort auch in besonderer Weise geprägt und etwas Eigenes erschaffen, das durchaus seinen Wert hat. Natürlich nicht wegen dieses verbrecherischen Systems, sondern trotz. Aber für diese Feinheiten hat man heute keinen Sinn. Heute will man seinen Blick mit Absicht grob stellen und über (kollektive) Unterschiede hinwegsehen, wo es nur geht. Da geht man dann auch mal 120.000 Jahre in der Zeit zurück und überspringt alles, was es an großartigen Kulturen zwischendrin auf diesem Erdball gegeben hat.

Natürlich lasse ich auch die Perspektive zu, dass wir alle eine große Familie sind. Aber wenn wir schon universalistisch denken, dann bitte richtig. Dann lasst uns beim Urknall anfangen – unser aller Vater – und bei der Tatsache, dass alles Lebendige, alles aus Atomen zusammen gesetzte, organische Leben das Abfallprodukt von "gestorbenen" Sternen ist. Und Esoteriker reden sogar davon, dass es überhaupt gar keine "tote" Materie gibt. Und ich schließe die Tiere nicht aus. Und Buddhisten wünschen nicht nur allen Lebewesen heute Glück und Zufriedenheit, sondern auch allen Lebewesen in der Vergangenheit und in der Zukunft. Und ein gewisser Seth (Jane Roberts) postuliert: Das innere Selbst ist unbegrenzt… – Ich kann diese Perspektive sehr wohl. Aber ich finde nicht, dass zwingend daraus folgt, dass wir auf diesem Erdball keine Bewegungsbeschränkungen errichten dürfen. Er ist groß genug.

Ich lehne es ab, mich von irgendwem in die universalistische Perspektive hineinzwängen zu lassen, als sei dies die einzig gültige Perspektive. Und dass man obendrauf so tut, als würde sich daraus in Bezug zu Migration ein einziges, logisch zwingendes Verhalten ergeben, nämlich die uneingeschränkte Bejahung. Und wenn man mir dann noch mit so einer billigen Küchenpsychologie kommt, dass ich hier etwas verdrängen würde, dann hat man bei mir verschissen. Ich verdränge überhaupt nichts. Von mir aus bin ich Afrikaner und Migrant. Ich bin trotzdem nicht für uneingeschränkte Migration, sondern immer nur für eine maßvolle Migration, die noch genügend Platz lässt für erhaltenswerte Kulturen. Als Inspiration kann man mir gerne mit solchen Gedanken kommen. Aber nicht, wenn hinten eine politische Agenda mit dran hängt.

Ich will die Scobel-Sendung allerdings nicht in Gänze schlecht reden. Abgesehen von diesen unerträglich oberflächlichen Schein-Argumenten hatte sie durchaus auch ihre ausgewogenen Momente. Was die anderen Talkshow-Gäste anging, war sie sogar ausgewogen kritisch bezüglich Migration.

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