Montag, 16. Dezember 2019

Empfindlichkeiten, für die man kein Verständnis hat:

Wenn Du Dich im Geiste mit einem Volk, einer Großgruppe, einer Gemeinschaft, verbunden fühlst, verbunden fühlen willst, ähnlich wie in einer Großfamilie. Und Du mit ansehen musst, wie dieser Gemeinschaft ständig massiven Schaden zugefügt wird. Ja wie sich diese Gemeinschaft sogar selbst schädigt, weil sie an einer Art autoaggressiven Immunerkrankung leidet. Wie sie sich ständig selbst zersetzt und selbst leugnet und dabei fast kein Stein auf dem anderen lässt. Und wie es für diese Krankheit noch nichteinmal einen triftigen Grund zu geben scheint, außer ein paar profanen und lächerlichen Irrtümern bzw. willkürlichen Festlegungen. Wie ein ganzes Volk mehr und mehr ins Verderben rauscht und sich vielleicht sogar recht bald aus der Menschheitsgeschichte tilgt, aus dem einfachen Grund, dass es sich der Dummheit hingibt. Und wie all das noch nichtmal ein würdevoller Tod ist, wie er ja auch vorstellbar wäre, als bewusster, frei gewählter Akt der Selbst-Auflösung. Und wie Dich fast jeder aggressiv "korrigieren" möchte, wenn Du gegen diese Mißstände aufbegehrst. Wie man Dich verächtlich machen möchte und unterdrücken möchte. Wie man Deine Stimme zur Seite schieben und Dich klein halten will. Wie man Dir auf 1001 Weise begreiflich machen möchte, dass Deine Sichtweise Scheiße ist und dass Du nichts zählst und Du einfach nur ein "ungültiger Mensch" bist. Mit falschen Gedanken und falschen Gefühlen. Wie Du abgeschafft gehörst. –

Hierüber empfindlich zu sein und emotional zu werden; das wird einem heute nicht gegönnt.

Ich frage mich: Nimmt man den "Rechten" überhaupt noch als einen Menschen auf Augenhöhe war? Nimmt man ihn überhaupt noch als Menschen war? Als ein fühlendes Wesen, das von Natur aus legitime Bedürfnisse, Wünsche und Überzeugungen hat? Als ein Wesen, das eben auch so seine Empfindlichkeit hat? Als ein Wesen, das leiden kann und derzeit nicht wenig leidet? Das dafür Mitgefühl verdient hat? Das ein Recht auf seine Eigenart hat?

Mein Eindruck ist: Nein. Es wird immer nur an ihm herumgemekelt. Es wird immer nur an ihm herumkorrigiert. Es wird immer nur auf ihm herumgehackt. Sein Denken: falsch. Sein Fühlen: bescheuert. Seine Träume: ungültig. Seine Ängste: moralisch verwerflich. Sein begrenztes Mitgefühl: ein Scheißdreck wert. Seine Identifikation mit Heimat, Volk und seinen Eigenarten: rassistisch. Seine Liebe: – Kann der überhaupt lieben? – Ein Rechter gilt heute von Kopf bis Fuß als ein ungültiger Mensch; und wenn doch nicht der Mensch als Ganzes, so doch wenigstens sein Denken und Fühlen. (Falls diese Differenzierung Sinn macht.)

Diese gewaltige Arroganz und Geringschätzung von Leuten, die sonst immer die Menschenverachtung anprangern, dieser durch ihre Menschen-Nicht-Achtung hier aber gefährlich nahe kommen, zeigt ihre Wirkung. Natürlich zahlt ein solches Verhalten auf ein Konto ein, dessen Währung Wut ist. Hierüber keine Wut zu entwickeln, wäre unmenschlich. Wer sich über rechte Wutbürger wundert, der tut dies, weil er einfachste, emotionale Zusammenhänge nicht mehr überblickt. Oder weil er blind geworden ist für die tiefe Intoleranz, die man dem rechten Denken und Fühlen entgegensetzt.

Überhaupt scheint die emotionale Kompetenz von "Gutmenschen" nicht der Rede wert zu sein. Dies ist ein Aspekt der autoaggressiven Immunerkrankung, an der wir alle ein bißchen leiden. Der Mensch hat sich von sich selbst entfremdet. Der Kontakt mit seinem tierischen Erbe ist gestört. Die Instinkte sind verdörrt. Er versteht nicht mehr, dass Wut auch ihren Platz haben darf. Ja, dass sie sogar wertvoll sein kann. Dass auch sie ein Teil von "Menschlichkeit" ist. Und so möchte der Gutmensch die Wut – gerne auch mal etwas vorschnell "Hass" genannt – am liebsten verbieten. Was soll diese unnütze Negativität? Diese unnütze Emotion! Wir wollen doch alle lieb und nett zueinander sein! Ein Dekret muss her! Hass und Wut sind nun per se "Hassverbrechen" und es wird geliebt auf Befehl. Befolgen wir damit nicht lediglich Jesu Christi Gebot? – Der deutsche Gutmensch wähnt sich auf dem Pfad der Liebe, während er sich selbst zum Roboter degradiert. –

Wer die Wut des rechten Wutbürgers nicht versteht, der tut dies also vielleicht auch deswegen, weil er selbst schon ein beschädigter Mensch ist. Er hat die Selbstbehauptung in sich schon so tief verlernt, dass er überhaupt nicht mehr versteht, dass es andere gibt, die gegen die Unterdrückung ihres Seins aufbegehren. Und dass Wut hierfür eine ganz ausgezeichnete Antriebskraft sein kann.

Dass die rechte Wut dann immer wieder unkontrolliert hervorspritzt und dabei auch Unschuldige verletzt, ist nicht schön. Auch dies ist ein Mißstand, den es zu beheben gilt. Aber ich meine, es wird wohl eher nicht auf die Weise gelingen, dass wir versuchen, die Wut und alles, was damit zusammenhängt, zu verbieten, zu ächten und zu unterdrücken. Vielleicht sollten wir, im Gegenteil, eher den Ansatz verfolgen, dass die Wut da sein darf, sogar geschätzt werden darf. Das könnte uns Wütende dann vielleicht auch mehr Kontrolle zurückgeben. Denn wo ständig nur unterdrückt wird, da leidet das Gefühl, die (Selbst-)Wahrnehmung und die Feinkontrolle. Ständige Unterdrückung ist auf psychischer Ebene wie ein Wahrnehmungsverbot. So hat der Gefühlsausbruch dann etwas von einem Vulkanausbruch. – Die regelmäßigen Tabubrüche der AfD, gefolgt von einem nachgeschobenen, teilweisen Zurückrudern basieren meiner Meinung nach auf den selben psychischen Mechanismen. Der Kampf um Selbstbehauptung ist schwierig in einer Atmosphäre der ständigen Unterdrückung. So kommt es fast notwendigerweise zu unkontrollierten Grenzübertretungen im Ausdruck.

Das Unterdrückte, das nicht sein darf. Die Wut, die nicht sein darf. Die Emotionen, die nicht sein dürfen. Die Andersartigkeit, die nicht sein darf. Das andere Denken, das nicht sein darf. – Für mich persönlich macht es nicht einen so großen Unterschied, ob ich hier für die Rechte von Homosexuellen und Transpersonen einstehe oder für die Rechte von Rechten. Hier wie dort sehe ich die gleichen Mechanismen der Intoleranz. Hier wie dort sehe ich die gleiche Tour von Unterdrückung, die fies und gemein, wie es der Mensch nur sein kann, auch das Selbstwertgefühl der Betroffenen zugrunde richten will. Kaum eine Gelegenheit wurde ausgelassen, den unerwünschten Homosexuellen die eigene Verachtung spüren zu lassen. Kaum eine Gelegenheit wird ausgelassen, den unerwünschten Rechten die eigene Verachtung spüren zu lassen. Man erklärt sie zu Freiwild, das man vertreiben darf, das man schlagen darf, das man behandeln darf wie Aussätzige, wie Ungeziefer, wie Unmenschen. Als seien sie ein Ärgernis vor Gott oder dem "guten Geschmack", das nur von einer Putzkolonne zur Seite geschafft werden muss. – Heute braucht der Rechte seine eigene Pride-Parade, seinen eigenen Christopher-Street-Day, in dem nichts anderes zelebriert wird als die umfassende Bejahung des eigenen Seins: Ich darf sein. Gerade so, wie ich es wünsche oder wähle oder wie mich der liebe Gott gemacht hat.

Wer den Traum von einem "deutschen Volk" ähnlich einer Großfamilie träumen möchte, der darf dies tun. Das vermeintliche Gegenargument, dass dies ja "nur" in unserer Vorstellung real sei, dass es sich "nur" um eine vorgestellte Gemeinschaft handeln würde, ist schlicht irrelevant. Man kann den Menschen nicht zu einer vermeintlich rationalen Sichtweise zwingen, wo er tief emotional berührt wird. Eine Ehe existiert rational betrachtet auch "nur" in unserer Vorstellung und ist, wenigstens für die, die "glauben", doch real. So kann in ganz ähnlicher Weise auch ein Bund zwischen Millionen von Menschen geschmiedet werden. Die einzig relevante Frage ist hier: Wie tief ist der Traum im menschlichen Herz verankert? Wie echt, wie intuitiv, wie natürlich ist der Traum? Oder ist der Traum etwa künstlich von außen übernommen und erfährt kaum Resonanz im Herzen? – Diese Fragen sind dann auch relevant für den Traum von "Europa", den andere derzeit für verbindlich erklären wollen. Wenn der Traum echt ist und tief geträumt wird, wird er passieren. Sonst nicht. Der Rechte ist übrigens in der Lage, von beidem zu träumen: Von der Nation und von Europa.




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