Samstag, 7. Dezember 2019
Eine Seltsamkeit des Menschen, über die man viel zu selten spricht: Er kann in "natürlicher", "normaler", "gesunder" Form von etwas überzeugt sein. Oder er kann gekünstelt von etwas überzeugt sein. Er kann sich etwas "in den Kopf setzen" ohne jegliche Rücksicht auf Verträglichkeit dieses "etwas" zu emotionalen und tieferen Anteilen in sich selbst. Auch ohne Rücksicht auf sonstige Inkonsistenzen im Kopf.

Der Mensch kann also scheinbar etwas glauben und es gleichzeitig, auf tieferer Ebene, eigentlich nicht glauben. Er kann sogar scheinbar etwas mögen und es gleichzeitig eigentlich nicht mögen. Oder anders herum: Er hasst scheinbar etwas und könnte doch jederzeit zu der Erkenntnis kommen, dass er es eigentlich gar nicht hasst, ja dass er es sogar liebt!

Es scheint ein zentraler Aspekt unseres Menschenschicksals zu sein, so zu ticken. Diese Disposition weist auch eine erstaunliche Stabilität auf. Es ist für uns noch nichtmal eine große "Leistung", ein ganzes Leben lang mit dieser Doppelbödigkeit im Funktionieren auskommen zu müssen. Es gibt Menschen, die reden sich ihr ganzes Leben lang ein, dass sie an Jesus Christus und die "Dreifaltigkeit" glauben. Sie müssten nur einmal mutig innehalten und ihrem Geist etwas Zartheit und Empfänglichkeit erlauben, um festzustellen, dass sie in Wirklichkeit gar nicht "glauben". Doch sie tun es nicht.

Homosexuelle Menschen, die ihr Leben lang kein "Coming out" vor sich selbst zulassen… Religiöse Menschen, die glauben, dass sie "glauben" müssen… Antifa-Mitläufer, die sich für Antifaschisten halten… Rassisten, die in Wahrheit viel weniger Rassist sind, als sie dachten… Antisemiten, die noch niemals einem Juden begegnet sind… Menschen, die sich für "links" halten… Menschen, die sich für "rechts" halten… Menschen, die glauben, es gibt keine Wahrheit…

Die Welt ist so voll von Beispielen, in denen sich Menschen einen Kurs verordnen, der gar nicht zu ihrem Inneren passt. Und das Erschreckende ist: Gerade diese scheinbare Ebene bindet unglaublich viel von unserer Energie. Die schlimmsten religiösen Fanatiker sind vor allem die, die sich zuerst selbst vergewaltigt haben und ständig weiter vergewaltigen müssen. Sodann ziehen sie in die Welt und wollen auch andere dazu treiben, dass sie sich selbst vergewaltigen. Die schlimmsten Homophoben sind manchmal gerade die, die selbst homosexuell sind, es sich aber nicht eingestehen können. (So sagte es mir ein schwuler Freund.)



Eine ganz wesentliche Triebkraft, die diese menschliche Anfälligkeit über Jahrhunderte angeheizt hat, ist aus meiner Sicht die verkorkste Botschaft von Jesus: "Du sollst glauben! Du musst nur glauben! Der Glaube versetzt Berge!" – Keine Ahnung was da in der Überlieferung falsch gelaufen ist oder ob Jesus wirklich so beschissen geredet hat. Dieser Glaubensglaube hat der Menschheit nicht gut getan. Er hat, im Gegenteil, die Doppelbödigkeit im Menschen massiv gefördert. Er ist massiv geistfeindlich; vielleicht gab es nichts Geistfeindlicheres in der Menschheitsgeschichte, als der Menschheit diesen Schwachsinn aufzubürden. Und oben drauf noch die Höllen-Androhungen! Es ist nur logisch, dass diese Unkultur Millionen von Menschen herangezüchtet hat, die sich allerlei "Glauben" in den Kopf gesetzt haben.

Wenn ich den Islam kritisere oder sogar rundheraus ablehne, dann eben wegen dieser Gründe und eben genau so, wie ich die großen christlichen Kirchen ablehne. Der Islam bezieht sich ja auch ganz wesentlich auf Jesus Christus und hat daher die gleiche Art von Glaubensparanoia, Glaubenshysterie, übernommen. Daher ist es auch kein Wunder, dass man hier wie dort die gleichen "Begleiterscheinungen" vorfindet: Kriege im Namen des rechten Glaubens, Folterungen, Terror, Kinder, die für ihre religiöse Erziehung geschlagen werden und ein finsterer, individualitsverneinender Konformismus, der alle natürliche Geistigkeit im Menschen zu ersticken droht. Menschen en masse, die denkbehindert und glaubenskrank sind. Das ist alles so ein unendlicher Scheissdreck, dass ich meine, Jesus ist mit einer einzigen Kreuzigung noch verdammt gut weggekommen.



Man versuche, sich eine Welt vorzustellen, in der der Mensch all diese geistfeindlichen Verkrampfungen überwunden hat. In der Menschen viel, viel mehr sie selbst sind.

Man versuche, sich vorzustellen, an welchem Punkt unser Rechts-Links-Gesellschaftskrieg wäre…

Ich gehe manchmal durch die Straßen und habe ein Gefühl von Intuition. Ob es letztlich wahr ist, weiß ich nicht ganz, aber ich spüre vielleicht das "wahre Denken" der Menschen, das unter all den hektischen und fanatischen Übertreibungen verdeckt ist. (Oder auch das wahre Denken der Menschen, die sich nicht an den Ideologie-Kriegen in der Öffentlichkeit beteiligen.) Und dieses "wahre Denken" ist 100x entspannter und ruhiger. Mir scheint, die Leute mögen die "Vielfalt" hier in Berlin tatsächlich, von der alle Linksideologen immer etwas krampfhaft reden. Und mir scheint, dass der Nationalismus tatsächlich unwichtiger geworden ist. Aber er ist immernoch da. Er sitzt immernoch ein bißchen in unseren Herzen, nur eben schwächer. Und ich selbst stimme diesen Positionen zu. Auch ich mag die Vielfalt. Auch für mich ist der Nationalismus nicht so wichtig. Und ich finde es gut, dass der Nationalismus schwächer geworden ist.

Hier, auf der Ebene der tatsächlichen, inneren Überzeugungen, wäre alles viel einfacher. Das echte Denken und echte Fühlen ist von Natur aus weiser und kompromissbereiter. Die Kommunikation wäre klarer und liebevoller.

Ich persönlich kann einen "echten Menschen" auch viel leichter in seiner Andersartigkeit akzeptieren. Wenn mir jemand glaubhaft vermittelt, dass er Einwanderung wirklich gern hat, sogar die Masseneinwanderung, dann habe ich viel weniger Grund, dagegen anzuargumentieren. Dann ist das eben so und dann ist das selbstverständlich okay. Aber wenn mir das Verhalten konditioniert und aufgesetzt erscheint, dann halte ich dagegen. Dann ist auch meistens eine Hitzigkeit und Übermotivation im Spiel, die es zu entschärfen gilt, wenn möglich.

Ich will davon ausgehen, dass dieses Prinzip auch andersrum gilt: Auch der, der ehrlich gegen Einwanderung ist, würde mehr Akzeptanz in seiner Umwelt finden, wenn er einfach nur der echte Mensch ist, der er im Inneren ist. Warum sollte man ihn dafür angreifen oder nur kritisieren?



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