Montag, 11. September 2017
Viel Lärm um wenig – EuGH urteilt zur angeblichen Zwangsquote für die Flüchtlingsumverteilung - BC European Lawyers | XING








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Donnerstag, 31. August 2017

Frau Özoguz hat Recht. Zumindest hat sie sehr viel Recht. Deutsche Kultur ist schwer zu identifizieren. – Denn Kultur ist grundsätzlich sehr schwer zu "identifizieren".

Man versuche mal, mit Sprache seine Lieblingsmusik zu beschreiben. Oder seinen Lieblings-Orange-Ton, der irgendwo zwischen Hellorange und Dunkelorange liegt. Oder die Form einer Wolke. Oder auch nur sein äußeres Erscheinungsbild. Man wird hier mittels Sprache die Realtät immer nur ankratzen können. Darüber hinaus wird man kläglich scheitern. Aber das heißt nicht notwendigerweise, dass seine Lieblingsmusik, sein Lieblingsorange, eine spezifische Wolke oder das eigene Erscheinungsbild nicht existieren...

Dewegen rate ich auch grundsätzlich davon ab, zuviel über deutsche (oder sonstige) Kultur zu reden. Das ist wie eine Falle, in die man tappt, und die man sich auch selbst verfangen kann. Und es stimmt: Sehr oft gerät man dann in lächerliche Fahrwasser, in denen man stumpfsinnig auf Klischees beharrt. Man kann höchstens ein paar Schlaglichter heraus greifen und darf es auch mit diesen nicht zu ernst nehmen. Mehr gibt Sprache nicht her. Dafür ist die Sache zu komplex, zu graduell, zu subtil, und mit weichen Grenzen (was uns leicht dazu verfühen kann, eine Sache ganz zu leugnen).

Wer dazu aufgefordert wird, mal ein paar deutsche Eigenschaften aufzuzählen, der weise die Aufforderung zurück und fordere im Gegenzug dazu auf, mehr durch die Welt zu reisen.

Zu welchem Schluss kommt nun ein Mensch, der viel durch die Welt gereist ist? (Außer jetzt mal wieder Nietzsche, wenn er die größte Gemeinsamkeit aller Menschen heraus hebt...)

Ich weiß es nicht, denn ich bin leider noch nicht so viel gereist. (Möchte mir jemand die ein oder andere Reise spendieren? Vielleicht heilt mich das von meiner rechten Gesinnung?...)

Bezüglich "Kultur" habe ich die gleiche Einstellung wie zu der Frage nach einem "lebendigen Wir": Es geht hier nicht nur darum, passiv zu fragen, was "objektiv gegeben" ist. Es ist dies auch ein Feld, auf dem man Realität machen kann, auf dem man nach Möglichkeiten Ausschau halten sollte. Die Frage ist, wie "wir" sein wollen.

Die bisher sich gebildeten Klischees vom "Deutschen" als ordnungsliebend, als Dichter und Denker, als tiefgründig, halte ich in diesem Sinne für gute Anknüpfungspunkte. – Sie sind zumindest nach meinem Geschmack.

Das neue Image der Deutschen erscheint mir dagegen das Resultat einer Degeneration: Man verbindet uns im Ausland teilweise einfach mit "Party, Party, Party". (Ich glaube, das liegt daran, dass an Schulen zu wenig Philosophie gelesen wird...)

Ich habe von deutschen Auswanderern gehört, die nach Deutschland zurück gekehrt sind, weil sie es vermissten, auch mal ein tiefgründiges Gespräch zu führen. (Mir ist das im Manchester durchaus gelungen – aber da war ich ja auch Gast in einer buddhistischen Kommune...)


Nietzsche, Friedrich, Menschliches, Allzumenschliches, Zweiter Band, Erste Abteilung: Vermischte Meinungen und Sprüche, 323. Gut deutsch sein heißt sich entdeutschen

Gut deutsch sein heißt sich entdeutschen. – Das, worin man die nationalen Unterschiede findet, ist viel mehr, als man bis jetzt eingesehen hat, nur der Unterschied verschiedener Kulturstufen und zum geringsten Teile etwas Bleibendes (und auch dies nicht in einem strengen Sinne). Deshalb ist alles Argumentieren aus dem National-Charakter so wenig verpflichtend für den, welcher an der Umschaffung der Überzeugungen, das heißt an der Kultur arbeitet. Erwägt man zum Beispiel, was alles schon deutsch gewesen ist, so wird man die theoretische Frage: was ist deutsch? sofort durch die Gegenfrage verbessern: »was ist jetzt deutsch?« – und jeder gute Deutsche wird sie praktisch, gerade durch Überwindung seiner deutschen Eigenschaften, lösen. Wenn nämlich ein Volk vorwärts geht und wächst, so sprengt es jedesmal den Gürtel, der ihm bis dahin sein nationales Ansehen gab; bleibt es stehen, verkümmert es, so schließt sich ein neuer Gürtel um seine Seele; die immer härter werdende Kruste baut gleichsam ein Gefängnis herum, dessen Mauern immer wachsen. Hat ein Volk also sehr viel Festes, so ist dies ein Beweis, daß es versteinern will und ganz und gar Monument werden möchte: wie es von einem bestimmten Zeitpunkte an das Ägyptertum war. Der also, welcher den Deutschen wohlwill, mag für seinen Teil zusehen, wie er immer mehr aus dem, was deutsch ist, hinauswachse. Die Wendung zum Undeutschen ist deshalb immer das Kennzeichen der Tüchtigen unseres Volkes gewesen.


Nietzsche, Friedrich, Menschliches, Allzumenschliches, Zweiter Band, Erste Abteilung: Vermischte Meinungen und Sprüche, 324. Ausländereien

Ausländereien. – Ein Ausländer, der in Deutschland reiste, mißfiel und gefiel durch einige Behauptungen, je nach den Gegenden, in denen er sich aufhielt. Alle Schwaben, die Geist haben, – pflegte er zu sagen – sind kokett. – Die anderen Schwaben aber meinten noch immer Uhland sei ein Dichter und Goethe unmoralisch gewesen. – Das Beste an den deutschen Romanen, welche jetzt berühmt würden, sei, daß man sie nicht zu lesen brauche: man kenne sie schon. – Der Berliner erscheine gutmütiger als der Süddeutsche, denn er sei allzusehr spottlustig und vertrage deshalb Spott: was Süddeutschen nicht begegne. – Der Geist der Deutschen werde durch ihr Bier und ihre Zeitungen niedergehalten: er empfehle ihnen Tee und Pamphlete, zur Kur natürlich. – Man sehe sich, so riet er, doch die verschiedenen Völker des altgewordenen Europa daraufhin an, wie ein jedes eine bestimmte Eigenschaft des Alters besonders gut zur Schau trägt, zum Vergnügen für die, welche vor dieser großen Bühne sitzen: wie die Franzosen das Kluge und Liebenswürdige des Alters, die Engländer das Erfahrene und Zurückhaltende, die Italiener das Unschuldige und Unbefangene mit Glück vertreten. Sollten denn die anderen Masken des Alters fehlen? Wo ist der hochmütige Alte? Wo der herrschsüchtige Alte? Wo der habsüchtige Alte? – Die gefährlichste Gegend in Deutschland sei Sachsen und Thüringen: nirgends gäbe es mehr geistige Rührigkeit und Menschenkenntnis, nebst Freigeisterei, und alles sei so bescheiden durch die häßliche Sprache und die eifrige Dienstbeflissenheit dieser Bevölkerung versteckt, daß man kaum merke, hier mit den geistigen Feldwebeln Deutschlands und seinen Lehrmeistern in Gutem und Schlimmem zu tun zu haben. – Der Hochmut der Norddeutschen werde durch ihren Hang, zugehorchen, der der Süddeutschen durch ihren Hang, sichs bequem zu machen, in Schranken gehalten. – Es schiene ihm, daß die deutschen Männer in ihren Frauen ungeschickte, aber sehr von sich überzeugte Hausfrauen hätten: sie redeten so beharrlich gut von sich, daß sie fast die Welt und jedenfalls ihre Männer von der eigens deutschen Hausfrauen-Tugend überzeugt hätten. – Wenn sich dann das Gespräch auf Deutschlands Politik nach außen und innen wendete, so pflegte er zu erzählen – er nannte es: verraten –, daß Deutschlands größter Staatsmann nicht an große Staatsmänner glaube. – Die Zukunft der Deutschen fand er bedroht und bedrohlich: denn sie hätten verlernt, sich zu freuen (was die Italiener so gut verstünden), aber sich durch das große Hazardspiel von Kriegen und dynastischen Revolutionen an die Emotion gewöhnt, folglich würden sie eines Tages die Emeute haben. Denn dies sei die stärkste Emotion, welche ein Volk sich verschaffen könne. – Der deutsche Sozialist sei eben deshalb am gefährlichsten, weil ihn keine bestimmte Not treibe; sein Leiden sei, nicht zu wissen, was er wolle, so werde er, wenn er auch viel erreiche, doch noch im Genusse vor Begierde verschmachten, ganz wie Faust, aber vermutlich wie ein sehr pöbelhafter Faust. »Den Faust-Teufel nämlich,« rief er zuletzt, »von dem die gebildeten Deutschen so geplagt wurden, hat Bismarck ihnen ausgetrieben: nun ist der Teufel aber in die Säue gefahren und schlimmer als je vorher!«




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"Volksverhetzung" gehört für mich, genauso wie "Fremdenfeindlichkeit" oder einfach "Hetze", zu den eher fragwürdigen Wortschöpfungen.

Ich bemerke jedenfalls, dass mein natürliches Sprachgefühl hier Bedeutungsbilder kreiert, die zum Teil signifikant von den "offiziellen" Versionen abweichen. Die politische Sprache ist für mich seltsam verzerrt. (Selbst ganz elementare Worte, wie z.B. "Hass", werden in ganz eigener Manier angewandt.)

So denke ich bei "Hetze" und "Volksverhetzung" eher an einen Mob, der mit Mistgabeln und Fackeln durchs Dorf zieht – aber eher nicht an einen Herr Gauland, der Frau Ösoguz in Anatolien "entsorgen" will...

Ich finde zwar auch, dass Herr Gauland sich hier definitiv nicht mit Ehre bekleckert, aber aus einer Aussage bezüglich eines einzelnen Menschen den Vorwurf einer Volksverhetzung zu konstruieren, ist schon – kreativ?

Man stelle dem mal gegenüber, was schonmal nicht als Volksverhetzung gegolten hat: Deutsche als Köterrasse zu bezeichnen. (Siehe auch: jungefreiheit.de)

Es mutet auch doch ein bißchen wie Willkür an, wie das Recht in dem ein oder anderen Fall ausgelegt wird. Das eine Mal regiert Hypersensibilität, das andere Mal stoische Ruhe.

Was Herr Gauland betrifft, so möge man wenigstens nach einem geeigneten Paragraphen suchen, wenn man ihn denn unbedingt ran kriegen will. "Volksverhetzung" halte ich für albern.





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Dienstag, 29. August 2017

Da ist er wieder: Einer dieser Momente, in denen ich mich frage, ob die Welt verrückt ist, oder ob ich es bin. Und ich bin ziemlich sicher, dass es doch eher die Welt ist. Oder nicht die ganze Welt. Nur ein Teil davon – unter ihnen auch viele "Journalisten"...

Da bringt die Welt (Autor: Matthias Heine) doch in der Tat einen eigenen Artikel zu der Frage heraus, ob "entsorgen" ein Nazi-Wort sei...

welt.de: Ist Gaulands 'entsorgen' wirklich ein Naziwort?

Was kann man hierzu noch sagen?

Nur so viel: Das Wort "Wortschatz" gehört zu den schönsten Schöpfungen der deutschen Sprache. – Weil es ein Wort voller Wahrheit ist. Worte sind Schätze. Wer das nicht versteht, ist ein Dummkopf. Wer ein Wort verbieten oder verdrängen will, der ist in der Pflicht für gleichwertigen Ersatz zu sorgen. Und wenn dies nicht gelingt, muss von jeglichen Verdrängungsabsichten Abstand genommen werden. Worte sind so elementar für den Menschen, dass es auch egal sein muss, von wem oder was sie her stammen. Sie sind Ausdruckswerkzeuge. Nicht mehr und nicht weniger! Und wie begrenzt ist der menschliche Ausdruck doch so oder so schon! Wie sehr ringt man häufig mit der Sprache, um genau "ins Schwarze" zu treffen.

Man verbietet oder schmäht Worte ebenso wenig wie man dem Maler seine Farben verbietet.

Das ist für mich eben auch eine moralische Norm. Und hier bin ich Moralist von schlimmster Sorte: D.h. ich will Dir ganz bewusst und berechnend ein schlechtes Gewissen machen, wenn Du nicht nach meiner Norm handelst. Du bist für mich ein "böser Mensch", wenn Du anders handelst. Einen, den ich auf den Mond schießen will – wenn ich gnädig bin: normalerweise droht Dir Schlimmeres.

Und so kriege ich die Krätze, wenn ich nur jemanden die Frage stellen höre, ob dieses oder jenes Wort ein "Naziwort" ist. Ich habe obigen Artikel noch nichtmal gelesen. Ich habe aber mir Schrecken wahrgenommen, dass der Artikel dort sogar in der Rubrik "Kultur" gelistet ist.




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Sonntag, 27. August 2017

Hat es je der Satz "Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert!" in Ihr Gehirn geschafft?

In einem Maße, dass Sie sich innerlich der Verpflichtung verschrieben haben, einen Pfennig auch immer aufzuheben, wenn Sie einen auf der Straße liegen sehen?

In einem Maße, dass Sie sogar ein schlechtes Gewissen befallen kann, wenn Sie es einmal nicht tun?

Wenn ja, dann gehören Sie vermutlich zur Mehrheit in unserer Gesellschaft. Oder auch nicht, vielleicht leben ja gar nicht so viele unter der Herrschaft dieses Leitgedanken. Aber in jedem Fall gehören Sie zu der Mehrheit in unserer Gesellschaft, die irgendwie total anfällig ist für – unbegründeten, ungeprüften Scheiß jeder Art.

(Zugegeben: Das meiste davon saugen wir schon als Kinder auf. Insofern ist uns nicht alle Schuld zuzurechnen. – Aber die Vernunftfilter, die wir uns als Erwachsene aufgebaut haben, sind häufig auch sehr mangelhaft.)

Der Wert eines Cents lässt sich ungefähr auf eine Kugel Eis alle 120 Cents festlegen. Wer 120x am Tag einen Cent findet, kann sich dann ein Eis kaufen. Ein Cent ist 1/120 Eis wert.

Welche objektiven Gründe gibt es also zu sagen "Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert"?

Es bleiben in jedem Fall nur "prinzipielle Gründe". Aber sind diese Prinzipien auch genau geprüft? Und sind es wirklich die unseren? Und welchen Grund gibt es wirklich für den Schluss von: "Du achtet diese paar Cent nicht" zu: "Du achtest Geld insgesamt nicht!"?

Und geht es nicht auch ganz allgemein etwas sachlicher, freier? Ohne eine starre Regel, die nur ein ganz bestimmtes Verhalten als zulässige Form der Wertschätzung anerkennt? Mit Raum für die persönliche Eigenart eines jeden?

Der eine drückt seine Wertschätzung auf die eine Weise aus, der andere auf eine andere...

...

Eine Stimme hat bei 30 Millionen Stimmenabgaben ein Gewicht von 1/30 000 000. Das entspricht einem Prozentwert von 0,000003333 %. Man braucht 300 000 Einzelstimmen, um einen Prozentpunkt Unterschied auszumachen.

...

Ich war schonmal nicht wählen, genauso wie ich mich schonmal nicht für ein paar Cents gebückt habe. Die Gründe waren jeweils die gleichen: Ich war gerade in Eile.




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Mittwoch, 16. August 2017

– Wieso sind hier bei blogger.de eigentlich so viele Siezer?
Mich darf man auch duzen.

– Irgendwann muss ich hier mal loslegen mit meiner rechten Gesinnung. Dieses Vorgeplänkel über Moral ist ja schön und gut, und Nietzsche ist so oder so immer ein Hit – aber das soll mir nicht reichen...

– Trauer, Wut, ein bißchen Verzweiflung überkommen mich, wenn ich an die Voreingenommenheit und Feigheit im Menschen denke. (Nietzsche weiß, dass es hier vor allem um Faulheit geht...)

– Dieser Blog hat eigentlich ein sehr ernstes Thema zur Grundlage. So wie ich das sehe, ist der psychische Allgemeinzustand des Durchschnittsmenschen ein schlechter. Das Ich ist in der Regel sehr schwach. – Und genau um diesen Mißstand geht es hier in diesem Blog. Dieses Grundthema spiegelt sich für mich in der politischen (Un)Kultur unserer Zeit besonders intensiv wider.

– Es gibt definitiv zu viele Ja-Sager.
(Ich bin hier gewiss auch nicht perfekt...)

– "Weil das Ich im allgemeinen so schwach ist, ist auch das Verhältnis zum Wir gestört."

– Weil wir guten Europäer die Nation überwinden wollen, streben wir die Supernation an: Die Vereinigten Staaten von Europa... (Oder sind die USA keine Nation?)

– Alle hacken gerade mal wieder auf Trump rum. Man empört sich, dass er nicht in gleicher Weise und in gleichem Maße darüber empört ist, über das man auch selbst empört ist. Ist das normal?

– "Ich empöre mich über Deine mangelhafte Empörung!"

– Auf welch vielfältige und subtile Weisen der Geist des Menschen in Ketten gelegt ist...

– "Ach, das ist doch alles lächerlich..." – auch vor so einem Urteil hat der Mensch Angst.

– Vielleicht werde ich im September die AfD wählen.




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Mittwoch, 9. August 2017
Nietzsche, Morgenröte, Erstes Buch, 19. Sittlichkeit und Verdummung:

Sittlichkeit und Verdummung. – Die Sitte repräsentiert die Erfahrungen früherer Menschen über das vermeintlich Nützliche und Schädliche, – aber das Gefühl für die Sitte (Sittlichkeit) bezieht sich nicht auf jene Erfahrungen als solche, sondern auf das Alter, die Heiligkeit, die Indiskutabilität der Sitte. Und damit wirkt dies Gefühl dem entgegen, daß man neue Erfahrungen macht und die Sitten korrigiert: das heißt, die Sittlichkeit wirkt der Entstehung neuer und besserer Sitten entgegen: sie verdummt.


Nietzsche, Morgenröte, Zweites Buch, 107. Unser Anrecht auf unsere Torheit:

... – Und wenn die Vernunft der Menschheit so außerordentlich langsam wächst, daß man dieses Wachstum für den ganzen Gang der Menschheit oft geleugnet hat: was trägt mehr die Schuld daran als diese feierliche Anwesenheit, ja Allgegenwart moralischer Befehle, welche der individuellen Frage nach dem Wozu? und dem Wie? gar nicht gestattet, laut zu werden? Sind wir nicht darauf hin erzogen, gerade dann pathetisch zu fühlen und uns ins Dunkle zu flüchten, wenn der Verstand so klar und kalt wie möglich blicken sollte! Nämlich bei allen höheren und wichtigeren Angelegenheiten.




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Dienstag, 8. August 2017
Ich bin letztlich kein Immoralist. Auch wenn ich es auf philosophischer Ebene immer wieder versuche und die Grundannahmen der "Moral" lustvoll in Frage stelle – auf pragmatischer Ebene bin ich Moralist. Es gibt für mich gut und böse, richtig und falsch, besser und schlechter. Und ich formuliere Ansprüche daraus, sowohl an mich selbst als auch an andere.

Aber woran liegt es nur, dass das Wort "Moral" trotzdem einen so faden Beigeschmack hat? Ein Selbstbekenntnis zum "Moralisten" fühlt sich fast wie ein Bekenntnis zum Onanisten an. Nur mit dem Unterschied, dass ich letzteren für harmloser halte (auch für anständiger...) und er mir weit sympathischer ist.

Der Konflikt liegt vielleicht "nur" im Reich der Sprache. Wenn ich z.B. von mir sage, dass ich ein "Mann mit Prinzipien" bin – was im Grunde das gleiche meint –, dann klingt das schon wieder ganz anders. Oder wenn ich sage, dass "gut und böse" für mich existieren, dann muss man deswegen auch nicht gleich das Wort "Moral" auspacken. Ebenso "Haltung beweisen", oder "seiner Verantwortlichkeit gerecht werden" – sogar das Wörtchen "Anstand" und eine entsprechende Forderung danach ist mir nicht so unangenehm wie das Wort "Moral".

Der Grund für mein Unbehagen ist wohl dieser: Der Geltungsanspruch der Moral ist in der Regel ein absoluter. Die "Prinzipien" sind hier ausgehärtet, erkaltet, fertig, unpersönlich, "objektiv" – und eben verbindlich. Und Moral kennt keine Toleranzen, zumindest tut sie sich sehr schwer damit. In der Moral schwingt auch der Grundkonflikt zwischen Individuum und Kollektiv mit: Wieviel Normung und Einmischung in das Privatleben des Einzelnen darf sich das Kollektiv erlauben? (Z.B.: Welche Drogen erlaubt die Gesellschaft?) – Eine zentrale Frage für die Politik und jede Gesellschaftsgestaltung. Und eine Frage, die wiederrum eine moralische ist... Moral steht hier potentiell in ihrer eigenen Schusslinie. Das Setzen von (zuviel) Moral kann auch amoralisch sein.

...

Ich halte es für moralischer, Rindfleisch zu essen anstatt z.B. Hühnerfleisch. Ganz einfach deswegen, weil beim Rind pro gequälter Tierseele mehr Kg an Fleisch abfällt. So müssen weit weniger Seelen gequält werden, um eine Gemeinschaft von Menschen zu ernähren. (Gehen wir perverserweise mal davon aus, dass nicht-artgerechte und qualvolle Massentierhaltung zum jetzigen Zeitpunkt die noch unvermeidliche Norm ist.)



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Donnerstag, 3. August 2017
Nietzsche, Friedrich, Morgenröte, Viertes Buch, 548. Der Sieg über die Kraft
Der Sieg über die Kraft. – Erwägt man, was bisher alles als »übermenschlicher Geist«, als »Genie« verehrt worden ist, so kommt man zu dem traurigen Schlusse, daß im ganzen die Intellektualität der Menschheit doch etwas sehr Niedriges und Armseliges gewesen sein muß: so wenig Geist gehörte bisher dazu, um sich gleich erheblich über sie hinaus zu fühlen! Ach, um den wohlfeilen Ruhm des »Genies«! Wie schnell ist sein Thron errichtet, seine Anbetung zum Brauch geworden! Immer noch liegt man vor der Kraft auf den Knien – nach alter Sklaven-Gewohnheit – und doch ist, wenn der Grad von Verehrungswürdigkeit festgestellt werden soll, nur der Grad der Vernunft in der Kraft entscheidend: man muß messen, inwieweit gerade die Kraft durch etwas Höheres überwunden worden ist und als ihr Werkzeug und Mittel nunmehr in Diensten steht! Aber für ein solches Messen gibt es noch gar zu wenig Augen, ja zumeist wird noch das Messen des Genies für einen Frevel gehalten. Und so geht vielleicht das Schönste immer noch im Dunkel vor sich und versinkt, kaum geboren, in ewige Nacht – nämlich das Schauspiel jener Kraft, welche ein Genie nicht auf Werke, sondern auf sich als Werk, verwendet, das heißt auf seine eigene Bändigung, auf Reinigung seiner Phantasie, auf Ordnung und Auswahl im Zuströmen von Aufgaben und Einfällen. Noch immer ist der große Mensch gerade in dem Größten, was Verehrung erheischt, unsichtbar wie ein zu fernes Gestirn: sein Sieg über die Kraft bleibt ohne Augen und folglich auch ohne Lied und Sänger. Noch immer ist die Rangordnung der Größe für alle vergangene Menschheit noch nicht festgesetzt.



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Sonntag, 30. Juli 2017
Es ist nicht die größte Sünde, böse zu sein, sondern stumpf.












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Montag, 24. Juli 2017
Quelle: aphorismen.de
Die Moral ist, wohlverstanden, das eigentliche Lebenselement des Menschen.












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Freitag, 21. Juli 2017
Nietzsche. Morgenröte. Vorrede. Kapitel 3:
Es ist bisher am schlechtesten über Gut und Böse nachgedacht worden: es war dies immer eine zu gefährliche Sache. Das Gewissen, der gute Ruf, die Hölle, unter Umständen selbst die Polizei erlaubten und erlauben keine Unbefangenheit; in Gegenwart der Moral soll eben, wie angesichts jeder Autorität, nicht gedacht, noch weniger geredet werden: hier wird – gehorcht! So lang die Welt steht, war noch keine Autorität willens, sich zum Gegenstand der Kritik nehmen zu lassen; und gar die Moral kritisieren, die Moral als Problem, als problematisch nehmen: wie? war das nicht – ist das nicht – unmoralisch? – Aber die Moral gebietet nicht nur über jede Art von Schreckmitteln, um sich kritische Hände und Folterwerkzeuge vom Leibe zu halten: ihre Sicherheit liegt noch mehr in einer gewissen Kunst der Bezauberung, auf die sie sich versteht, – sie weiß zu »begeistern«. Es gelingt ihr, oft mit einem einzigen Blicke, den kritischen Willen zu lähmen, sogar zu sich hinüberzulocken, ja es gibt Fälle, wo sie ihn gegen sich selbst zu kehren weiß: so daß er sich dann, gleich dem Skorpione, den Stachel in den eignen Leib sticht. Die Moral versteht sich eben von alters her auf jede Teufelei von Überredungskunst: es gibt keinen Redner, auch heute noch, der sie nicht um ihre Hilfe anginge (man höre zum Beispiel selbst unsere Anarchisten reden: wie moralisch reden sie, um zu überreden! Zuletzt heißen sie sich selbst noch gar »die Guten und Gerechten«.) Die Moral hat sich eben von jeher, so lange auf Erden geredet und überredet worden ist, als die größte Meisterin der Verführung bewiesen – und, was uns Philosophen angeht, als die eigentliche Circe der Philosophen.



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