Donnerstag, 25. Januar 2018

Eine Aussage wie "Breivik ist aus Verzweiflung heraus zum Massenmörder geworden" wird als "Relativierung" verstanden:

http://www.tagesspiegel.de/politik/afd-politiker-jens-maier-der-verschwundene-beweis-am-rechten-rand/20881626.html

https://www.vorwaerts.de/artikel/afd-politiker-jens-maier-breivik-handelte-verzweiflung

Ich bleibe derweil an der Frage hängen, ob nicht auch Psychopathen an Verzweiflung leiden können und ob nicht gerade diese Verzweiflung den letzten Schub liefern kann, um zu einem Massenmörder zu werden. Ist Verzweiflung vielleicht nicht sogar die Hauptkomponente für alles Psychopathen-Dasein? – Und auch, wer den Psychopathen unbedingt als "entarteten Menschen" ausgrenzen will, der kann ihm doch nicht automatisch die Verzweiflung absprechen. Dann ist es eben eine psychopathische Verzweiflung. Ja, auch Psychopathen sind Menschen. Ich denke, es hat jeder die Bilder vom weinenden Breivik im Gerichtssaal gesehen… (Ich hatte mindestens so viel Mitgefühl mit ihm wie mit einem Kind, das über einen verlorenen Schnuller weint.)

Aber was interessieren uns anständige Demokraten schon solche psychologisch menschlichen Erwägungen! Unser politischer Gegner hat etwas gesagt, das für uns verdammt nach "Relativierung" klingt! Also raus mit dieser Nachricht! Als Warnung! Als erneute Bestätigung für die schlimme Gesinnung unserer Gegner! Als erneute Bestätigung unserer selbst.

Aber was ist damit schon gewonnen?

Ich wünsche mir einen anderen Journalismus. Ich hätte hier lediglich eine reine Fakten-Berichterstattung vorgelegt. Dieses und jenes wurde gesagt. Und fertig. Wer hier das Urteil "Relativierung" anfügen will, der kann es ja tun. Aber bitte als Leser und nicht als Berichterstatter. Im übrigen ist "Relativierung" auch so ein Wortungetüm, das wiedermal reichlich Wertung beinhaltet ohne klar definiert zu sein. Zumindest ist der wertende Anteil darin sehr irrational, so scheint es mir. Der Gegner führt eine Perspektive ein, die einem nicht passt, weil die schöne, einfache Schwarz-Weiß-Welt mit Guten und Bösen und klarer Schuldzuschreibung angegriffen wird. Das muss ein Werk des Bösen sein!… (Und wer weiß, vielleicht ist es das ja auch?...)




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Donnerstag, 18. Januar 2018

Für den Fall, dass wir dieses Jahr doch nochmal die Ehre haben, an die Wahlurnen gerufen zu werden. Eine Suggestion:

Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.

Ich schreibe dies nicht, weil ich behaupte, dies sei eine einfache, klare Wahrheit.

Ich schreibe dies auch nicht, weil ich will, dass Du dies glaubst.

Ich schreibe dies nur deswegen nieder, um dem Überangebot an entgegengesetzten Suggestivbotschaften im öffentlichen Raum eine entsprechende Gegenkraft beizufügen.

Auf dass sich Kraft und Gegenkraft aufhebt, und sich auch schwache, beeinflussbare Geister wieder auf die eigene Meinung besinnen können. Dann könnte man mal ganz unvoreingenommen zum AfD-Programm greifen und schauen, was einem dort gefällt und was nicht. Frei von moralischen Verboten, subtiler Verkrampftheit, sonstigem irrationalen, psychischen Druck und sozial programmierter Voreingenommenheit.

Wir kennen in unserer Demokratie das Prinzip der geheimen Wahl, weil wir um die Schwäche und Beeinflussbarkeit des Individuums wissen. Und weil wir um den häßlichen Trieb des Menschen zur Übergriffigkeit wissen.

Was uns in diesem Bewusstsein noch fehlt, ist das ausdrückliche Prinzip und der Wille zum Verzicht auf Suggestionen. Denn uns fehlt grundsätzlich die Disziplin zu einer inneren Sauberkeit und – damit zusammenhängend – zur Fairness im Umgang miteinander. Stattdessen bedrängen wir uns ständig gegenseitig, sind übergriffig und wollen die Bewusstseinsinhalte und das Verhalten unserer Mitmenschen auf ziemlich grobe Art und Weise bestimmen. Und meistens geschieht das deswegen, weil auch unser Kopf nicht wirklich uns gehört. Es herrscht ein kleiner Krieg in uns und unter uns.

Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.

Hinweise zur Benutzung:

Man spreche den Satz ohne jeglichen Glaubenszwang. Die Absicht zum Andersglauben ist nicht notwendig. Man spreche ihn also immer wieder aus und lasse alles hochkommen, was hochkommt. Wenn sich jedes Mal eine Gegenstimme meldet, die sagt "Nein, es ist nicht okay!", ist das kein Problem. Man spreche unbeirrt weiter, ohne jegliche Wertung von Stimme oder Gegenstimme. Wenn sich auf die Dauer nichts ändert, dann lasse man davon ab. Möglicherweise aber passiert auch ein plötzliches Umschlagen der vorgefassten Meinung.

Falls der Satz überhaupt nicht mit dem eigenen Gefühl kompatibel ist, kann man auch den Versuch machen, ihn anzupassen, die Formulierung etwas zu variieren.

Es ist exakt diese Phänomenlage, die der erste und vielleicht einzige Grund ist, dass ich so einen Blog hier verzapfe.

Ich bin, wie gesagt, empfindlich, wannimmer es um die innere und äußere Freiheit des Menschen geht. Und ich bin empfindlich, wenn es um die Ehrlichkeit des Menschen und das Einlösen von Versprechen geht. Ehrlichkeit, Zu-seinem-Wort-Stehen und Demokratie sind für mich immernoch Ideale. Da ich das Versprechen der "Demokratie" (das Etikett, die Behauptung) immernoch einigermaßen ernst nehme (naiverweise?), bin ich also leicht zu triggern, wenn ich Kräfte bemerke, die der Demokratie entgegen wirken.

Eine Demokratie ist aber immer nur so gut realisiert, wie auch der einzelne Mensch in ihr das notwendige Maß von Mündigkeit / geistiger Reife und Selbstständigkeit aufweist. Wenn große Teile der Bevölkerung unter dem Druck einer Ideologie oder einzelner, wahnhafter Ideen stehen, ist es mit der Demokratie nicht weit her. Denn dann ist die "freie Wahl" an der Urne meistens nicht mehr wirklich frei. (Hier ließe sich natürlich auch die grundsätzliche Frage aufwerfen, inwieweit der Mensch von heute überhaupt schon reif für die Demokratie ist. Und diese Frage ließe sich vielleicht genauso gut bejahen wie verneinen.)

Im gleichen Sinne hilft auch keine Glaubensfreiheit, die vorrangig auf dem Papier existiert: Es gibt in der Tat immernoch Menschen unter uns, die noch Mitglied in einer der großen Kirchen sind, weil sie sich einfach nicht trauen, auszutreten! Es sollte uns unglaublich in den Ohren klirren, dass so etwas sich immernoch unter "Erwachsenen" ereignet. Es sollte Lachen oder Erstaunen oder völlige Konsterniertheit erzeugen. Aber es ist immernoch zu normal für uns. Immernoch wirkt der eigentlich kindische Glaube an Himmel und Hölle in vielen unserer Gehirne. (Es gibt nicht wenige Kopftuchträgerinnen, die ihr Kopftuch nicht ablegen können – aus Angst vor Allah, aus Angst vor den Gott-Konzepten, die man ihnen eingetrichtert hat.)

Muss ich den ungeheuren Druck erläutern, der bezüglich der AfD vom Mainstream her erzeugt wurde?

Würdest Du Dich auch nur trauen, Dein Kreuz bei der AfD zu machen? Und dann öffentlich dazu stehen?

Könntest Du mit einem Freund, der AfD gewählt hat, in der U-Bahn sitzen und offen mit ihm über Politik und seine Wahlentscheidung reden? Oder würdest Du lieber als jemand dastehen, der keine AfD-Wähler persönlich kennt? Wäre es Dir peinlich? Und würdest Du vielleicht sogar befürchten, Pöbeleien ausgesetzt zu sein?

Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.
Es ist vollkommen okay, die AfD zu wählen.

 




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Freitag, 8. Dezember 2017

Zu den gröbsten Anzeichen unseres irgendwie schief gelagerten Zeitgeists gehört, dass es noch nichtmal eine prägnante, gesellschaftlich etablierte Ausdrucksmöglichkeit für die Einstellung gibt, "Fremde" einfach nur nicht zu "mögen" und sie nicht in der eigenen Nähe haben zu wollen, während man ihnen durchaus alles Gute der Welt wünscht. – Wer so etwas tut, ist per Definition nämlich "fremdenfeindlich". Es wird also ein "Feind" aus einem gemacht, bzw. jemand, der in den anderen Feinden sieht. Es wird "Feindlichkeit" unterstellt. Dies ist nicht nur eine sprachtypische Ungenauigkeit: An der Tatsache, dass diese eine Schublade "fremdenfeindlich" sowohl für mildere Formen verwendet wird als auch für die extremen Formen, bei denen Asylheime brennen, Menschen angegriffen und Hakenkreuze verbreitet werden, zeigt sich, dass überhaupt gar kein politisches und weltanschauliches Interesse daran besteht, hier auch nur ansatzweise zu differenzieren. Es wird suggeriert, dass es sich im Grunde um ein und dasselbe Phänomen handelt: Fremde nicht zu mögen und ihre Häuser anzuzünden. Hieraus spricht nicht nur der Unwille zur Differenzierung, sondern auch eine gewisse Stumpfheit in der Wahrnehmung von Emotionen. Man kennt keinerlei Grade und Unterschiede, keine unterschiedliche Qualitäten und keine Grautöne. Vor allem kennt man nicht den Unterschied zwischen "Nicht-Mögen" und "Hassen". Die offensichtliche Möglichkeit der Differenzierung wird durch eine sehr grobe Schubladenpraxis aktiv unterdrückt. Alles ist Fremdenfeindlichkeit und "Fremdenfeindlichkeit ist Menschenfeindlichkeit". Punkt.

So bleibt in der Sprache und im Denken praktisch nichts mehr übrig, um sich auch nur ausdrücken zu können. Abgesehen von langen, erklärenden Satzkonstruktionen gibt es kein griffiges Adjektiv, das eine "milde Form von Fremdenfeindlichkeit" ausdrückt – hier dient dieser Ausdruck auch nur als ungefähre Annäherung an das Gemeinte (s.o.).


Ein Mangel an Ausdrucksmöglichkeit, ein fehlender Ankerpunkt in der kollektiven Sprachmatrix, halte ich für grundsätzlich verdächtig. Insbesondere wenn er aktiv oder grob fahrlässig verhindert wird oder bewusst nicht gesucht wird. Für mich, der in "geistigen Dingen" sehr empfindlich ist, ist die Blockierung und Verhinderung von Ausdruck eine Ur-Kategorie von Verbrechen. Ein Mangel an Ausdrucksmöglichkeit ist immer ein Notstand, den eine geistige Gemeinschaft zu überwinden suchen sollte, egal welche politische Agenda davon profitieren würde. Ausdruck ist eines der kostbarsten Dinge für den Geist.

Der hier bestehende Mangel hat natürlich auch etwas mit der Geisteswelt der Allgemeinheit zu tun. Bzw. mit der Geisteswelt der Zeitungs- und Nachrichtenschreiber. Wenn an eine "milde und tolerierbare Form von Fremdenfeindlichkeit" noch nicht einmal geglaubt wird (geglaubt werden will, geglaubt werden kann), kann man sich sprachlich noch so um begriffliche Neuschöpfungen bemühen. Eine Kommunikation oder gar Spracherweiterung wird dann nicht stattfinden.

Die Kommunikation, die möglich sein sollte und hier gemeint ist, verlangt eigentlich nur ein Minimum an Gutgläubigkeit gegenüber dem Sender der Botschaft. Doch mir scheint, diese Gutgläubigkeit, dieses Glauben an das Gute, will partout nicht aufgebracht werden. Eine "gute (nicht-böse) Fremdenfeindlichkeit" will man nicht zulassen. Eine gute Gesinnung am Boden eines Menschen, der gegen (zuviel) Zuwanderung und (zuviel) Multikulti ist, will man nicht anerkennen und nicht beglaubigen.

Ein Grund für die Unwilligkeit, eine "nicht-böse Fremdenfeindlichkeit" sozial zu akzeptieren und ihr eine faire sprachliche Bezeichnung zu gönnen, besteht sicherlich auch in der Angst vor den Folgen. Man befürchtet, dass man die "böse Fremdenfeindlichkeit" dadurch stärken könnte. Man hat Angst vor einer Art "Dammbruch". Die Begleiterscheinungen von Pegida, tätliche Angriffe auf "Fremde", scheinen dies zu bestätigen.

Ich habe aber den Verdacht, dass auch das Gegenteil wahr sein könnte. Indem man die "nicht-böse Fremdenfeindlichkeit" ständig unterdrückt, nicht anerkennt und unfair und unsachlich einordnet, nährt man die Unzufriedenheit und den Hass in den Menschen. Unterdrückung ist per se nichts, was die Menschen glücklicher, ausgeglichener und zufriedener macht. Und die Form der Unterdrückung ist ja auch verflucht elementar. Sie ist verflucht gründlich. Sie setzt bereits im Geist und seinen Ausdrucksmöglichkeiten an. Sie wird im tendenziösen Gebrauch der öffentlichen Sprache und ihren undifferenzierten Kategorien und Werturteilen mitgetragen. Sie besteht in der offen direkten und subtil hintergründigen Verneinung des eigenen moralischen Seins. Sie besteht in dem tiefen und wirksamen Ausdruck moralischer Geringschätzung. Sie besteht in der Unverschämtheit, Signale zu senden wie "Du bist unmoralisch" oder "Du bist dumm".

Dass sich hier "Hass" aufstaut, erscheint mir nur logisch. Ein tiefer Instinkt fühlt sich unterdrückt, beleidigt, nicht akzeptiert und ungerecht behandelt. Und so könnte es durchaus auch sein, dass die negativen Begleiterscheinungen von Pegida nicht in erster Linie der "natürliche Ausdruck" von nicht weiter zu differenzierender "Fremdenfeindlichkeit" sind, sondern von aufgestautem Frust über die ständige Unterdrückung. Der "Fremde" wird dann vorrangig als Symbol dieser geistigen Unterdrückung und Fremdbestimmung im eigenen Lebensraum wahrgenommen – und das ist provozierender als alle "Fremdheit".




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Montag, 20. November 2017
http://www.focus.de/politik/deutschland/jamaika-aus-im-news-ticker-spd-will-keine-grosse-koalition-und-fordert-neuwahlen_id_7871774.html

"Es habe nie eine geschlossene Idee aller Verhandlungspartner für ein Jamaika-Bündnis gegeben."

– wozu ist denn eine "geschlossene" Idee nötig? Ist das nicht auch wieder so eine politische Phantasterei? (Wie so viel in der Politik...)

Und wieso heißt diese Idee nicht einfach "Deutschland", "gemeinsame Politik", "Einsatz für die Menschen", "für uns und unsere Nachbarn" ...

Politische Ideolog(i)en wollen immer an den falschen Stellen schlau sein. Oder so.


Entweder der Fokus ist hier überhaupt nicht zitierfähig oder Politiker sind wirklich von Grund auf dumm.



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Montag, 30. Oktober 2017

Unten ein paar Nietzsche-Zitate. Die ersten zwei betonen den Aspekt der persönlichen Beziehung eines Individuums zur Moral. (Entsprechende Stellen sind fett hervorgehoben.) Nietzsche möchte offenbar das Individuum stärken und es ermuntern, sich seine eigene Moral zu bilden.

Ich halte dies für eine wertvolle Anregung und es ist in einem weiteren Sinne auch nur die Anwendung eines Standardthemas für alle Philosophen: Sie alle möchten zu einem tieferen und gründlicheren Nachdenken anregen. Aber an einem Punkt schießt Nietzsche für mich über das Ziel hinaus. Nämlich dort, wo er das "Gute an sich" als bloßes Hirngespinst darstellt (siehe 2. Zitat). Die Art und Weise, wie er es ausführt, scheint zwar insgesamt stimmig. Er überzeugt mich, wenn er die Frage stellt: "Was zerstört schneller, als ohne innere Notwendigkeit, ohne eine tief persönliche Wahl, ohne Lust arbeiten, denken, fühlen?" – Aber den Begriff vom "Guten an sich", den lasse ich mir deshalb noch nicht kaputt machen. Und dies halte ich für sehr wichtig. Ich spüre, dass meine seelische Gesundheit davon abhänigig ist, an "das Gute" zu glauben, das "objektiv" ist. Das weder von mir, noch einem anderen, noch von irgendwelchen Zielsetzungen abhänigig ist. All das, was ich im moralischen Sinne "gut" nenne, ist in meinem Glauben zu ca. 90% objektiv. Ich bin offen dafür, dass ich mich vielleicht in einigen Dingen täusche, und ich habe es auch nicht nötig, meine Normen für alle Welt verbindlich zu erklären. Aber es ist eben auch mein persönliches Verhältnis zur Moral, dass ich hier an eine gewisse Objektivität der Werte glaube. Siehe z.B. auch die "Goldene Regel": Behandle andere, wie Du selbst behandelt werden willst. Die Wahrheit über "das Gute" ist letztlich sogar ein bißchen langweilig. Im Großen und Ganzen stimmen die etablierten Anschauungen. "Liebe", Opferbereitschaft, Verzichten, Teilen, Mitgefühl, das Denken an andere (Menschen wie Tiere) – all das sind gute Hinweise. Natürlich betreibt der Mensch mit seinem komplizierten Ego auch häufig Mißbrauch und Selbsttäuschungen um diese Begriffe, aber das ändert nichts an der prinzipiellen Richtigkeit dieser Denkrichtung.

Ich versuche immernoch, Stellen bei Nietzsche zu entdecken, in denen er offen für dieses Denken ist, aber ich habe sie bisher nur mit viel gutem Willen in einigen Nebensätzen und Adjektiven als Andeutungen "gefunden" – im Grunde zu wenig, um es ihm wirklich zuzurechnen. Stattdessen findet man zwar eine allgemeine Wertschätzung der Moral, aber nur in einem sehr technisch funktionalen und psychologischen Sinne. Sie scheint für ihn nur Mittel zum Zweck zu sein. Er nennt sie z.B. "Medizin". Er sieht sie eigentlich immer im Kontext von Evolution. Er sieht sie wohl überhaupt nur in irgendeinem Kontext, also wenn es irgend ein "hohes Ziel" gibt. Das "an sich" gibt es für ihn in der Moral nicht. Das "Gute" als Selbstzweck, als höhere Form von Schönheit, kennt er nicht – also, darf man folgern?: er kennt "das Gute" überhaupt nicht?

Nichtsdestotrotz ist sein Scharfsinn beeindruckend. Innerhalb seines "beschränkten" Moralverständnisses ist er ein Meister psychologischer Analyse und immernoch eine Inspiration. Siehe Zitate 3 und 4.


1)

Nietzsche, Friedrich, Morgenröte, Zweites Buch, 107. Unser Anrecht auf unsere Torheit

Und wenn die Vernunft der Menschheit so außerordentlich langsam wächst, daß man dieses Wachstum für den ganzen Gang der Menschheit oft geleugnet hat: was trägt mehr die Schuld daran als diese feierliche Anwesenheit, ja Allgegenwart moralischer Befehle, welche der individuellen Frage nach dem Wozu? und dem Wie? gar nicht gestattet, laut zu werden? Sind wir nicht darauf hin erzogen, gerade dann pathetisch zu fühlen und uns ins Dunkle zu flüchten, wenn der Verstand so klar und kalt wie möglich blicken sollte! Nämlich bei allen höheren und wichtigeren Angelegenheiten.

2)

Nietzsche, Friedrich, Der Antichrist, 11

Ein Wort noch gegen Kant als Moralist. Eine Tugend muß unsre Erfindung sein, unsre persönlichste Notwehr und Notdurft: in jedem andern Sinne ist sie bloß eine Gefahr. Was nicht unser Leben bedingt, schadet ihm: eine Tugend bloß aus einem Respekts-Gefühle vor dem Begriff »Tugend«, wie Kant es wollte, ist schädlich. Die »Tugend«, die »Pflicht«, das »Gute an sich«, das Gute mit dem Charakter der Unpersönlichkeit und Allgemeingültigkeit – Hirngespinste, in denen sich der Niedergang, die letzte Entkräftigung des Lebens, das Königsberger Chinesentum ausdrückt. Das Umgekehrte wird von den tiefsten Erhaltungs- und Wachstumsgesetzen geboten: daß jeder sich seine Tugend, seinen kategorischen Imperativ erfinde. Ein Volk geht zugrunde, wenn es seine Pflicht mit dem Pflichtbegriff überhaupt verwechselt. Nichts ruiniert tiefer, innerlicher als jede »unpersönliche« Pflicht, jede Opferung vor dem Moloch der Abstraktion. – Daß man den kategorischen Imperativ Kants nicht als lebensgefährlich empfunden hat!... Der Theologen-Instinkt allein nahm ihn in Schutz! – Eine Handlung, zu der der Instinkt des Lebens zwingt, hat in der Lust ihren Beweis, eine rechte Handlung zu sein: und jener Nihilist mit christlich-dogmatischen Eingeweiden verstand die Lust als Einwand... Was zerstört schneller, als ohne innere Notwendigkeit, ohne eine tief persönliche Wahl, ohne Lust arbeiten, denken, fühlen? als Automat der »Pflicht«? Es ist geradezu das Rezept zur décadence, selbst zum Idiotismus... Kant wurde Idiot. – Und das war der Zeitgenosse Goethes! Dies Verhängnis von Spinne galt als der deutsche Philosoph – gilt es noch!... Ich hüte mich zu sagen, was ich von den Deutschen denke...

3)

Nietzsche, Friedrich, Die fröhliche Wissenschaft, Fünftes Buch. Wir Furchtlosen, 345. Moral als Problem

… oder daß sie umgekehrt, nachdem ihnen die Wahrheit aufgegangen ist, daß bei verschiedenen Völkern die moralischen Schätzungen notwendig verschieden sind, einen Schluß auf Unverbindlichkeit aller Moral machen: was beides gleich große Kindereien sind. Der Fehler der Feineren unter ihnen ist, daß sie die vielleicht törichten Meinungen eines Volks über seine Moral oder der Menschen über alle menschliche Moral aufdecken und kritisieren, also über deren Herkunft, religiöse Sanktion, den Aberglauben des freien Willens und dergleichen, und ebendamit vermeinen, diese Moral selbst kritisiert zu haben. Aber der Wert einer Vorschrift »du sollst« ist noch gründlich verschieden und unabhängig von solcherlei Meinungen über dieselbe und von dem Unkraut des Irrtums, mit dem sie vielleicht überwachsen ist: so gewiß der Wert eines Medikaments für den Kranken noch vollkommen unabhängig davon ist, ob der Kranke wissenschaftlich oder wie ein altes Weib über Medizin denkt. Eine Moral könnte selbst aus einem Irrtume gewachsen sein: auch mit dieser Einsicht wäre das Problem ihres Wertes noch nicht einmal berührt. – Niemand also hat bisher den Wert jener berühmtesten aller Medizinen, genannt Moral, geprüft: wozu zuallererst gehört, daß man ihn einmal – in Frage stellt. Wohlan! Dies eben ist unser Werk. –

4)

Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse, Fünftes Hauptstück. Zur Naturgeschichte der Moral, 188

Jede Moral ist, im Gegensatz zum laisser aller, ein Stück Tyrannei gegen die »Natur«, auch gegen die »Vernunft«: das ist aber noch kein Einwand gegen sie, man müßte denn selbst schon wieder von irgendeiner Moral aus dekretieren, daß alle Art Tyrannei und Unvernunft unerlaubt sei. Das Wesentliche und Unschätzbare an jeder Moral ist, daß sie ein langer Zwang ist: um den Stoizismus oder Port-Royal oder das Puritanertum zu verstehn, mag man sich des Zwangs erinnern, unter dem bisher jede Sprache es zur Stärke und Freiheit gebracht – des metrischen Zwangs, der Tyrannei von Reim und Rhythmus. Wieviel Not haben sich in jedem Volke die Dichter und die Redner gemacht! – einige Prosaschreiber von heute nicht ausgenommen, in deren Ohr ein unerbittliches Gewissen wohnt – »um einer Torheit willen«, wie utilitarische Tölpel sagen, welche sich damit klug dünken, – »aus Unterwürfigkeit gegen Willkür-Gesetze«, wie die Anarchisten sagen, die sich damit »frei«, selbst freigeistisch wähnen. Der wunderliche Tatbestand ist aber, daß alles, was es von Freiheit, Feinheit, Kühnheit, Tanz und meisterlicher Sicherheit auf Erden gibt oder gegeben hat, sei es nun in dem Denken selbst, oder im Regieren, oder im Reden und Überreden, in den Künsten ebenso wie in den Sittlichkeiten, sich erst vermöge der »Tyrannei solcher Willkür-Gesetze« entwickelt hat; und allen Ernstes, die Wahrscheinlichkeit dafür ist nicht gering, daß gerade dies »Natur« und »natürlich« sei – und nicht jenes laisser aller! Jeder Künstler weiß, wie fern vom Gefühl des Sich-gehen-lassens sein »natürlichster« Zustand ist, das freie Ordnen, Setzen, Verfügen, Gestalten in den Augenblicken der »Inspiration« – und wie streng und fein er gerade da tausendfältigen Gesetzen gehorcht, die aller Formulierung durch Begriffe gerade auf Grund ihrer Härte und Bestimmtheit spotten (auch der festeste Begriff hat, dagegen gehalten, etwas Schwimmendes, Vielfaches, Vieldeutiges –). Das Wesentliche, »im Himmel und auf Erden«, wie es scheint, ist, nochmals gesagt, daß lange und in einer Richtung gehorcht werde: dabei kommt und kam auf die Dauer immer etwas heraus, dessentwillen es sich lohnt, auf Erden zu leben, zum Beispiel Tugend, Kunst, Musik, Tanz, Vernunft, Geistigkeit – irgend etwas Verklärendes, Raffiniertes, Tolles und Göttliches. Die lange Unfreiheit des Geistes, der mißtrauische Zwang in der Mitteilbarkeit der Gedanken, die Zucht, welche sich der Denker auferlegte, innerhalb einer kirchlichen und höfischen Richtschnur oder unter aristotelischen Voraussetzungen zu denken, der lange geistige Wille, alles, was geschieht, nach einem christlichen Schema auszulegen und den christlichen Gott noch in jedem Zufalle wiederzuentdecken und zu rechtfertigen – all dies Gewaltsame, Willkürliche, Harte, Schauerliche, Widervernünftige hat sich als das Mittel herausgestellt, durch welches dem europäischen Geiste seine Stärke, seine rücksichtslose Neugierde und feine Beweglichkeit angezüchtet wurde: zugegeben, daß dabei ebenfalls unersetzbar viel an Kraft und Geist erdrückt, erstickt und verdorben werden mußte (denn hier wie überall zeigt sich »die Natur«, wie sie ist, in ihrer ganzen verschwenderischen und gleichgültigen Großartigkeit, welche empört, aber vornehm ist). …




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Mittwoch, 25. Oktober 2017

Ab sofort heißt der Blog nicht mehr "Reflektion meiner rechten Gesinnung", sondern "Grenzreflektionen – Grenzen und Grenzwertiges".

Der alte Titel klang mir auf die Dauer doch zu sehr nach Festgelegtheit. Und Festgelegtheit ist das, was ich bei Denkern grundsätzlich verachte.

Ich will zugeben, dass ich hier offenbar auch einem "sozialen Druck" nachgebe. Zumindest in meiner Einbildung: "Mein Kopf ist in anderen Köpfen, und dieser wieder in anderen Köpfen…" Am Ende glaube ich einfach, dass die Interpretation, ich will hier "rechte Propaganda" machen, zu leicht gefördert wird, wenn ich bei meinem alten Blogtitel bleibe. Hinzu kommt die Überlegung, dass dem einen oder anderen das Kommentieren hier wahrscheinlich leichter fällt, wenn der Titel neutraler gehalten ist.

Ich kann in dieser Angelegenheit zur Zeit nicht klar unterscheiden, zwischen einem freiwilligen Hineinversetzen in andere Köpfe und einem unfreiwilligen "Verklebt-Sein" mit anderen Köpfen, also einem Nachgeben aus Schwäche und mangelnder geistiger Eigenständigkeit. Aber was soll's. Dann bin ich eben mal "schwach" und gebe nach. Anfangs habe ich den originalen Blogtitel mit einer gewissen Leichtigkeit tragen können. Dass dem nicht mehr so ist, liegt vielleicht auch einfach am Modus des Bloggens. Jedes Mal springt einen der Titel von Neuem an, wenn man hier liest oder schreibt.




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Montag, 9. Oktober 2017

Nietzsche, Friedrich, Die fröhliche Wissenschaft, Zweites Buch, 59. Wir Künstler!

Wir Künstler! – Wenn wir ein Weib lieben, so haben wir leicht einen Haß auf die Natur, aller der widerlichen Natürlichkeiten gedenkend, denen jedes Weib ausgesetzt ist; gerne denken wir überhaupt daran vorbei, aber wenn einmal unsere Seele diese Dinge streift, so zuckt sie ungeduldig und blickt, wie gesagt, verächtlich nach der Natur hin – wir sind beleidigt, die Natur scheint in unsern Besitz einzugreifen, und mit den ungeweihtesten Händen. Da macht man die Ohren zu gegen alle Physiologie und dekretiert für sich insgeheim: »ich will davon, daß der Mensch noch etwas anderes ist, außer Seele und Form, nichts hören!« »Der Mensch unter der Haut« ist allen Liebenden ein Greuel und Ungedanke, eine Gottes- und Liebeslästerung. – Nun, so wie jetzt noch der Liebende empfindet, in Hinsicht der Natur und Natürlichkeit, so empfand ehedem jeder Verehrer Gottes und seiner »heiligen Allmacht«: bei allem, was von der Natur gesagt wurde, durch Astronomen, Geologen, Physiologen, Ärzte, sah er einen Eingriff in seinen köstlichsten Besitz und folglich einen Angriff – und noch dazu eine Schamlosigkeit des Angreifenden! Das »Naturgesetz« klang ihm schon wie eine Verleumdung Gottes; im Grunde hätte er gar zu gern alle Mechanik auf moralische Willens- und Willkürakte zurückgeführt gesehn: aber weil ihm niemand diesen Dienst erweisen konnte, so verhehlte er sich die Natur und Mechanik, so gut er konnte, und lebte im Traume. Oh diese Menschen von ehedem haben verstanden zu träumen und hatten nicht erst nötig, einzuschlafen! – und auch wir Menschen von heute verstehen es noch viel zu gut, mit allem unserem guten Willen zum Wachsein und zum Tage! Es genügt zu lieben, zu hassen, zu begehren, überhaupt zu empfinden – sofort kommt der Geist und die Kraft des Traumes über uns, und wir steigen offnen Auges und kalt gegen alle Gefahr auf den gefährlichsten Wegen empor, hinauf auf die Dächer und Türme der Phantasterei, und ohne allen Schwindel, wie geboren zum Klettern – wir Nachtwandler des Tages! Wir Künstler! Wir Verhehler der Natürlichkeit! Wir Mond- und Gottsüchtigen! Wir totenstillen, unermüdlichen Wanderer, auf Höhen, die wir nicht als Höhen sehen, sondern als unsere Ebenen, als unsere Sicherheiten!



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Samstag, 7. Oktober 2017



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Nietzsche, Friedrich, Die fröhliche Wissenschaft, Zweites Buch, 57. An die Realisten

An die Realisten. – Ihr nüchternen Menschen, die ihr euch gegen Leidenschaft und Phantasterei gewappnet fühlt und gerne einen Stolz und einen Zierat aus eurer Leere machen möchtet, ihr nennt euch Realisten und deutet an, so wie euch die Welt erscheine, so sei sie wirklich beschaffen: vor euch allein stehe die Wirklichkeit entschleiert, und ihr selber wäret vielleicht der beste Teil davon – oh ihr geliebten Bilder von Sais! Aber seid ihr nicht auch in eurem entschleiertsten Zustande noch höchst leidenschaftliche und dunkle Wesen, verglichen mit den Fischen, und immer noch einem verliebten Künstler allzu ähnlich? – und was ist für einen verliebten Künstler »Wirklichkeit«! Immer noch tragt ihr die Schätzungen der Dinge mit euch herum, welche in den Leidenschaften und Verliebtheiten früherer Jahrhunderte ihren Ursprung haben! Immer noch ist eurer Nüchternheit eine geheime und unvertilgbare Trunkenheit einverleibt! Eure Liebe zur »Wirklichkeit« zum Beispiel – oh das ist eine alte, uralte »Liebe«! In jeder Empfindung, in jedem Sinneseindruck ist ein Stück dieser alten Liebe: und ebenso hat irgendeine Phantasterei, ein Vorurteil, eine Unvernunft, eine Unwissenheit, eine Furcht und was sonst noch alles! daran gearbeitet und gewebt. Da jener Berg! Da jene Wolke! Was ist denn daran »wirklich«? Zieht einmal das Phantasma und die ganze menschliche Zutat davon ab, ihr Nüchternen! Ja, wenn ihr das könntet! Wenn ihr eure Herkunft, Vergangenheit, Vorschule vergessen könntet – eure gesamte Menschheit und Tierheit! Es gibt für uns keine »Wirklichkeit« – und auch für euch nicht, ihr Nüchternen –, wir sind einander lange nicht so fremd, als ihr meint, und vielleicht ist unser guter Wille, über die Trunkenheit hinauszukommen, ebenso achtbar als euer Glaube, der Trunkenheit überhaupt unfähig zu sein.



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Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse, Zweites Hauptstück. Der freie Geist, 24

O sancta simplicitas! In welcher seltsamen Vereinfachung und Fälschung lebt der Mensch! Man kann sich nicht zu Ende wundern, wenn man sich erst einmal die Augen für dies Wunder eingesetzt hat! Wie haben wir alles um uns hell und frei und leicht und einfach gemacht! wie wußten wir unsern Sinnen einen Freipaß für alles Oberflächliche, unserm Denken eine göttliche Begierde nach mutwilligen Sprüngen und Fehlschlüssen zu geben! – wie haben wir es von Anfang an verstanden, uns unsre Unwissenheit zu erhalten, um eine kaum begreifliche Freiheit, Unbedenklichkeit, Unvorsichtigkeit, Herzhaftigkeit, Heiterkeit des Lebens, um das Leben zu genießen! Und erst auf diesem nunmehr festen und granitnen Grunde von Unwissenheit durfte sich bisher die Wissenschaft erheben, der Wille zum Wissen auf dem Grunde eines viel gewaltigeren Willens, des Willens zum Nicht-wissen, zum Ungewissen, zum Unwahren! Nicht als sein Gegensatz, sondern – als seine Verfeinerung! Mag nämlich auch die Sprache, hier wie anderwärts, nicht über ihre Plumpheit hinauskönnen und fortfahren, von Gegensätzen zu reden, wo es nur Grade und mancherlei Feinheit der Stufen gibt; mag ebenfalls die eingefleischte Tartüfferie der Moral, welche jetzt zu unserm unüberwindlichen »Fleisch und Blut« gehört, uns Wissenden selbst die Worte im Munde umdrehen: hier und da begreifen wir es und lachen darüber, wie gerade noch die beste Wissenschaft uns am besten in dieser vereinfachten, durch und durch künstlichen, zurechtgedichteten, zurechtgefälschten Welt festhalten will, wie sie unfreiwillig-willig den Irrtum liebt, weil sie, die Lebendige – das Leben liebt!



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Donnerstag, 5. Oktober 2017

"Wirklichkeit" als eine seltsame Kombination von Oberfläche und mehr…

Wenn ich zwischen zwei qualitativ gleichwertigen Sushi-Restaurants wählen kann, und Restaurant A beschäftigt überwiegend japanische oder typisch japanisch aussehende Servicekräfte, Restaurant B aber nicht – dann entscheide ich mich in der Regel für Restaurant A. Einfach aus Gründen des Genusses. Das Auge isst mit. – Es ist eben nicht ganz unwichtig, was dem Auge geboten wird. – Mein Gemüt erfreut sich an japanischer Kultur, ob nun in Form der Speisen auf meinem Teller, oder in Gestalt eines Menschen, der vor mir steht.

Überhaupt mag ich die Asiaten, denn ich habe sie überwiegend als bescheiden und zurückhaltend in Erinnerung. Oder in sympathischer Weise verrückt.

Könnte das Restaurant mich nicht komplett mit Asiaten bedienen, so wäre es nach meinem Geschmack, wenn sie wenigstens auf "Deutsche", "Türken", "Italiener" etc. verzichten würden. Die habe ich in Berlin nämlich schon genug. Und im Sushi-Restaurant will ich mal eine Abwechlung, mal etwas Fremdes, etwas Neues, etwas Anderes haben.

Ich bin dabei nicht stur, nicht fanatisch fixiert. Ich kann selbstverständlich auch ins Restaurant B gehen, aber in der Regel bevorzuge ich Restaurant A.

Ich bin ja kein stumpfer Rassist. Ich bin ein Feingeist.

Mein Genussempfinden setzt nicht aus, sobald ich ein Restaurant verlasse.

In der gleichen Weise – also auf Basis meines Genussempfindens – sehe ich die anhaltende Vermischung von Völkern mit skeptischem Blick. Ein wildes Potpourri an "Rassen" ist für mich nicht ein so klares Geschmackserlebnis – bzw. ein anderes – wie eine weitgehende "völkische" Homogenität. Gleichzeitig schätze ich es aber auch, wenn eine Bevölkerung nicht allzu streng homogen ist, sondern ein paar bunte Ausreißer in den eigenen Reihen hat.

Ton in Ton mit ein paar bunten Sprenkel ist sozusagen meine Lieblingsfarbe, mein Lieblingsgeschmack.

Ich buche einen Urlaub, nur um die Erfahrung zu machen mit anderen Menschentypen, einem anderen Schlag von Menschen, in Kontakt zu kommen. Die Rasse ist dabei zwar eine untergeordnete Kategorie, aber doch eine, die für mich einen wesentlichen Beitrag am Gesamtgenussempfinden hält.

Das Auge isst mit. Und wenn wir in diesem Zusammenhang über Essen reden, dann dünkt es uns, wir würden hier eine etwas tiefere Wahrheit anschlagen…

Was ist das Verbot von Diskriminierung anderes als ein Verbot von Oberflächlichkeit, ein Verbot von Irrationalität?

Nichts anderes. Genau das. Du sollst: die Wirklichkeit assoziativ richtig erfassen.

Die Frage ist, wie die Menschheit ihre Genüsse priorisiert und moralisch einordnet.

Gibt es gute und böse Genüsse?

Der Mensch als Genussobjekt. Der Mensch als Hassobjekt. Der Mensch als Objekt.

Die Menschheit genießt und hasst sich selbst. Objektisch.

Es braucht für den Rassismus nicht mehr Oberflächlichkeit als für den Genuss an "hübschen" Menschen. Wer den Rassismus verurteilt, kann aus dem gleichen Grund, aus dem er Rassismus verurteilt, auch die Modebranche verurteilen, die eine unerbittliche Selektion von "hübschen" Menschen praktiziert und eine entsprechende Geisteshaltung fördert.

Der allgemeine Schönheitskult diskriminiert nur nicht so platt und offensichtlich wie die historischen Formen des Rassismus. Es gibt keine Regel, die sagt, dass Hässliche im Bus hinten sitzen müssen, so wie es früher in Amerika die "Neger" mussten.

Die oberflächliche Diskriminierung seitens des Schönheitskultes ist trotzdem eklatant in der Masse betrachtet: Hübsche Menschen steigen leichter beruflich auf. Hübsche Menschen werden vor Gericht mit milderen Strafen belegt.

"Lookismus" – Verdient das nicht die gleiche Verachtung wie Rassismus? Wieso gibt es darüber keinen Konsens in der Gesellschaft?

Warum verurteilen wir den Rassismus nochmals? – wegen der Oberflächlichkeit? Weil wir Menschen uns eigentlich der Tiefe zuschreiben wollen?… oder glauben, dass wir es eigentlich tun müssten?…

These: Der Mensch ist als Erscheinung körperlich – doch als Wesen ist er geistig. Wir wollen das glauben… Wir sollen das glauben… Ich empfehle es, das zu glauben! … Es zu leugnen hieße, sich selbst zu leugnen.

Darf man hier Kompromisse machen?

Kompromisse mit der Moral?

Wenn es um Feinheiten geht?

Einen Toleranzbereich für unsere Mindestmoral?

Ein bißchen den Genuss am Menschlich-Objektischen erlauben? Ein bißchen Diskriminierung erlauben? Ein bißchen Oberflächlichkeit?

Ich sage: ja. Und das ist ja genau das, was wir alle seit Geburt an machen.

"typisch menschlich"

Ein paar Puristen, Idealisten sind aber immer willkommen.

Wir lassen uns von Oberfläche mithin sogar regelrecht verzaubern. Bis hin zur Objektophilie.

Was ist Verliebt-Sein anderes als ein Fall von Objektophilie?

Und dieser Rausch der Verzauberung durch Oberfläche ist so beeindruckend, so tiefgehend, dass sogar die Wertung des Werturteils "oberflächlich" überdacht werden kann.

Die Oberfläche reicht tief ins Wesen hinein. Die visuelle Information berührt unsere Seele.

Gibt es vielleicht sogar eine tiefe Korrelation zwischen Oberfläche und Tiefe?

Verraten die Wellen des Meeres manchmal etwas über den Zustand in der Tiefe?

Aber wir wollen es natürlich nicht so weit treiben, dass wir daran glauben, dass die Form der Nase etwas über den Denkstil oder die Gesinnung eines Menschen verrät… Ein böser Gedanke! – den ich weitestgehend für falsch halte. (Glück gehabt…)

Was den Schönheitskult und die natürliche Oberflächlichkeit des Menschen angeht, so gibt es zumindest einen kleinen, schönen Moment von Freiheit darin: Im Prozess des Verliebens wird das Objekt seiner Begierde durch eine mysteriöse, innere Kraft sehr machtvoll verschönert. Da ist viel bewusste Absicht darin.

Schönheit ist eine unschuldige Kraft im Universum – wie das Licht oder die Gravitation.

Vielleicht liegt die Schönheit und der Hang zur Selbst-Verschönerung eher bei den Frauen, weil die Schönheit das i-Tüpfelchen auf der Realität ist. Ein i-Tüpfelchen, das den Genuss noch einmal ungeheuer steigern kann. Der "Finishing Touch", eine Art Weihung und Segnung der Realität / des Objektes.

Damit haben die Frauen den Ursprung des Lebens und den allerletzten Fertigungsschritt, den letzten Feinschliff. Dazwischen liegt die Welt der Männer. – Danke!

Denken wir ein paar schöne Gedanken.

Und auch die häßlichen.

Stellen wir uns unserer eigenen Hässlichkeit.

Ich bin abgeschweift.

Ich merke, dass mir der Rassismus nicht soo wichtig ist…




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Freitag, 29. September 2017
Hier ein kurzer Ausschnitt (1min:33s) aus der Talkshow "Maischberger" vom 27.9.2017:

https://youtu.be/P_GHylat2KE

Klaus von Dohnanyi : "Wir haben da ein riesiges Problem, das viel tiefer geht, als unsere Debatte hier bisher gegangen ist."



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Montag, 11. September 2017
Viel Lärm um wenig – EuGH urteilt zur angeblichen Zwangsquote für die Flüchtlingsumverteilung - BC European Lawyers | XING








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